13.12.2011

Abschied vom Wachstum


Haben wir nicht genug? Wie sich Ökonomen ein System vorstellen, in dem nicht zwanghaft immer mehr produziert werden muss
Einer hat es gewagt, für einen Augenblick. Es könnten künftig auch einmal »weniger« Autos gebaut werden, sagte der grüne baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann zu Beginn seiner Amtszeit. Die Reaktionen: Verwirrung, Staunen, wütende Entrüstung.


Weniger? Das ist ein Tabu in der Politik – und erst recht in der Ökonomie. Die Wirtschaft soll weniger wachsen! Solch ein Satz, laut und öffentlich gesprochen, schadet der Karriere jedes Politikers, egal, welcher Partei. In diesem Punkt herrscht von der Linken, der SPD über die Grünen bis hin zur CDU/CSU und FDP die ganz große Koalition: Deutschland, Europa und die Welt brauchen Wirtschaftswachstum. Je mehr, desto besser. Kapitalismus ohne Wachstum? Eine Horrorvorstellung.
»Stimmt nicht«, sagt William Rees, ohne zu zögern. Der Kanadier forscht und lehrt seit Jahren, wie eine Wirtschaft ohne Wachstum funktionieren könnte. Er ist überzeugt: Sie wäre besser für die Menschheit, für die Umwelt sowieso.
Der Ökonom erklärt das mit einem Bild vom Globus. Der ist bekanntlich rund und endlich. Rees erinnert trotzdem immer noch einmal daran und sagt, die Wirtschaft sei ein Subsystem dieser begrenzten Welt. Dann demonstriert er, wie die meisten klassischen Ökonomen die Wirtschaft am liebsten darstellen: durch eine steil nach oben wachsende, nicht enden wollende Kurve. Und schon ist er mitten in seinem Thema: Die Kurve beruhe auf einer falschen Annahme. Denn in einer endlichen Welt, so der Ökonom, könne kein Subsystem unendlich wachsen. Nicht mal, wenn man das Wachstum grün oder nachhaltig nennt!
Für Naturwissenschaftler ist dieser Satz eine Banalität. Rees erinnert auch daran gern, schon weil der Gedanke in den gängigen ökonomischen Modellen fehlt. Denn genau das hält er für das Grundproblem. Weil die Menschheit nun mal die Erde brauche, könne sie nicht dauerhaft deren Naturgesetze missachten. Genau das aber tue sie, sie zerstöre die eigenen Grundlagen. Dabei gehe es auch anders. Statt mehr müsse sie besser produzieren. Das Ziel sei eine »stationäre Wirtschaft«, die vor allem die Ressourcen verbraucht, die sie wieder herstellen kann. Eine, die im Einklang mit der Natur steht.

Das klingt verträumt, hätte in der Wirklichkeit aber radikale Folgen. Wo legt man in einer Volkswirtschaft, die nicht mehr wächst, sein Geld an? Wo sollen die neuen Arbeitsplätze herkommen? Und wie kommt dann noch das Neue in die Welt? Rees weiß um all die ängstlichen Fragen, er sagt deswegen beschwichtigend: »Eine stationäre Wirtschaft ist nichts, wovor man Angst haben muss.« Schließlich sei deren Ziel mehr Stabilität auf den Märkten, mehr soziale Gerechtigkeit und mehr ökologische Sicherheit. Eine solche Wirtschaft sei auch mitnichten langweilig und unproduktiv. Denn auch in ihr werde weiterhin Altes durch Neues ersetzt, also alte Industrien durch neue, grünere. Nur dürfe die Wirtschaft als Ganzes eben nicht immer mehr wachsen.

William Rees ist längst nicht der Einzige, der so denkt. Weltweit gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Ökonomen, die nach den Bedingungen der Postwachstumsgesellschaft forschen. Sie wollen nicht viele Griechenlands schaffen, also Länder, deren Wirtschaft schockartig schrumpft, sondern einen behutsamen Übergang zu einer grüneren Postwachstumswirtschaft. Das kanadische Casse-Institut verfolgt dieses Ziel, im amerikanischen Portland in Oregon wurde jüngst ein Lehrstuhl dafür eingerichtet, in Frankreich gibt es die Decroissance-Bewegung, und auch in Deutschland trauen sich inzwischen ein paar Ökonomen, nach dieser steady state economy zu suchen.

Den Begriff und damit die ganze Denkschule hat der ehemalige Weltbankökonom Herman Daly geprägt. Er stellte fest, dass viele der Rezepte, die der Norden für die armen Länder bereithielt, dort zwar für Wachstum sorgten, nebenbei aber die Umwelt zerstörten und die Lebensqualität der Menschen nicht unbedingt erhöhten. »Wachstum bedeutet mehr Dinge, Entwicklung bedeutet bessere Dinge«, sagt Daly und fordert, Letzteres müsse Ziel der Politik werden und könne so quasi nebenbei das Wachstum reduzieren.

Daly hat dafür ganz praktische Vorschläge. Einige klingen heute nach dem kleinen Einmaleins der Umweltpolitik, so zum Beispiel eine ökologische Steuerreform, die endlich die wahren Kosten des Naturverbrauchs in die Preise einfließen lasse. Oder Steuern auf Rohstoffe und ein globales Handelssystem, in dem Emissionsrechte für schädliche Stoffe wie Kohlendioxid gehandelt würden.

Andere Ideen reichen weiter: Herman Daly will Arbeit reduzieren und umverteilen – auch damit die Leute ihren Wohlstand nicht für den Kauf von immer mehr Dingen, sondern für mehr Freizeit verwenden. Er will mehr öffentliches und weniger privates Eigentum. Wird mehr geteilt, so sein Gedanke, braucht jeder weniger, ergo müssten weniger Dinge produziert werden. »Das mag radikal klingen«, sagt Daly selbst und fügt hinzu, dass solche Ideen weder Privatbesitz noch den Markt ausschlössen. Sie berücksichtigten nur, dass zu viel Konzentration an Reichtum dessen Legitimität untergrabe und Marktpreise, welche die Umweltkosten nicht berücksichtigten, unsinnig seien.

Postwachstumsdenken: Im Kern heißt das bei all seinen Verfechtern immer, den unökologischen Konsum zu mindern und das Weniger sozialverträglich zu organisieren. Denn nur wenn zumindest die reichen Länder weniger verbrauchten, da sind sich Daly und seine Kollegen sicher, werde die Umwelt zu retten sein. Konkret bedeutet das: Die Menschen in den reichen Ländern sollen weniger Neues kaufen und lieber das Alte länger nutzen, es reparieren, am besten selbst.

Mit Hammer und Schraubenzieher in die Zukunft? Die meisten etablierten Politiker und Ökonomen finden solche Ideen verrückt. Woher sollen der politische Wille und die ökonomische Kraft kommen, um den Bürgern das Weniger schmackhaft zu machen, gleichzeitig umzuverteilen, das Steuersystem zu ökologisieren, die öffentlichen Schulden weiter zu bezahlen und auch noch dem Süden zu helfen?

Serge Latouche, der große alte Mann der französischen Decroissance-Bewegung, reagiert auf solche Fragen inzwischen mit Verweigerung: Er lasse sich nicht Wirklichkeitsferne vorwerfen von jenen, die alle »Glaubenssätze« der klassischen Wirtschaftswissenschaft widerspruchslos hinnähmen. Latouches Gegenargument heißt Vielfalt. Er setzt auf die vielen Graswurzelbewegungen, die Konsumverweigerer, die Tauschringe, die regionalen Verkaufsinitiativen, die am Zustand der Welt leiden und deswegen schon heute versuchen, Postwachstum zu leben. Ganz nach dem Motto: Wenn die Veränderung der Praxis nur groß genug ist, werden Theorie und politische Strategie schon folgen.

Rhetorisch ist das geschickt. Und doch wissen die meisten Postwachstumsdenker, dass zwar ihre Kritik an der Wachstumswirtschaft stark ist, die Alternative aber noch detaillierter entworfen werden muss. Am schwierigsten scheint dabei der Umbau des Finanzmarktes. Der Schweizer Ökonom Hans Christoph Binswanger, einst Doktorvater des Deutsche-Bank-Chefs Josef Ackermann, hat sein Leben lang danach geforscht, wie man den enormen Wachstumsdruck mildern kann, den Kredite und Zinsen auf die Wirtschaft ausüben. Binswanger möchte ihn verringern, indem er die Geldschöpfung durch die Banken verringert. Die Möglichkeit, aus Geld wieder Geld zu machen, sei in den vergangenen Jahren enorm gestiegen. Der Staat kann das wieder reduzieren, indem er die Mindestreserve, die Banken für Kredite zurückhalten müssen, erhöht. Zudem will Binswanger beispielsweise Aktiengesellschaften, die auf fortwährenden Gewinn ausgerichtet sind, durch andere Unternehmensformen ersetzen: Genossenschaften oder Stiftungen, die weniger Wachstumsdynamik entfalteten.

Was all diese Ideen, wenn sie denn Wirklichkeit würden, für das System bedeuteten? Der Brite Tim Jackson, Konsumkritiker und Vordenker der Postwachstumsgesellschaft, erzählt: Nach seinen Vorträgen frage ihn regelmäßig die Hälfte der Zuhörer, warum er den Kapitalismus unangetastet lasse. Die andere Hälfte wolle wissen, warum er ihn zerstöre.


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