29.03.2013

Das „Zypern-Experiment“ und die „Bankenabgabe“ - Anfang vom Ende eines kriminellen Geschäftsmodells oder Vorbereitung der Enteignung der Mittelschicht?

Der modus operandi bei der Bankenrettung in Zypern - eine Teilbeteiligung der Kontoinhaber mit über 100.000 € durch eine Zwangsabgabe, die etwa ein Drittel der Gesamtsumme von 15 Milliarden € bringen soll - ist auf den ersten Blick gerechter als die Modelle anderswo, wo alle europäischen Steuerzahler für die Verbindlichkeiten der Banken in vollem Umfang hafteten. Die Steueroase wurde trockengelegt. Bei näherer Betrachtung hier trifft es aber auch dort nicht die, die am meisten von diesem Haupt-Geschäftsmodell Zyperns profitierten. Der übliche Doppelstandard der Plutokratie - viel Geld setzt die ansonsten gültigen Regeln außer Kraft - greift auch hier erneut.


Gebäude der "Bank of Cyprus" in Aglandija, einem Vorort der Hauptstadt der Republik Zypern, Nicosia


Denn auch für Zypern galt anscheinend der Or'wellsche Grundsatz
“All animals are equal, but some animals are more equal than others“ (“Animal Farm“,1945). Die vorgenommene Teil-Enteignung ging zu Lasten der Mittelschicht und zu Gunsten weniger. Dies könnte den ohnehin bröckelnden sozialen Frieden noch stärker gefährden und das System des (post-) demokratischen Kapitalismus an seine Grenzen bringen. Während es für die Kontoinhaber mit kleinen und mittleren Summen eine strikte Sperre für größere Abhebungen bzw. Überwei-sungen gab (und trotz inzwischen nach fast zwei Wochen Zwangs-“bank holiday“ wieder geöffneter Banken immer noch gibt), war es den „Investoren“ mit hohen Summen „auf wundersame Weise“ möglich, diese zu umgehen und ihr Geld aus den Banken Zyperns abzuziehen.

Durch die Grenze von 100.000 Euro traf es zwar wenigstens nicht die „Kleinsparer“ (wobei 100.000 € für zypriotische Verhältnisse (Durchschnittseinkommen ca 1.750 €/Monat, ca. 30% unter dem in der BRD) auch schon ein weit überdurchschnittlicher Betrag ist); dieses Mal sind aber die Mitglieder der Mittel-schicht, die „Besserverdienenden“, Opfer der Umverteilung nach oben, jene, die zu wenig Kapital haben, um außerhalb der normalen Spielregeln, die für 99% der Menschen gelten, zu agieren, aber zu viel, um unter die 100.000-Grenze zu fallen. Diese werden nun durch die Abgabe von 30-50% kräftig teil-zwangsenteignet. Es sind meist einheimische Unternehmer, die auf der Insel bleiben müssen oder wollen. Sicherlich, auch sie profitierten von den niedrigen Steuersätzen, die dazu führten, dass der Finanzsektor Zyperns auf das Achtfache des Bruttoinlandsprodukts anschwoll und daher zu der Schlüsselindustrie des Inselstaates wurde; aber die Hauptprofiteure, ausländische Geldwäscher oder Steuerflüchtlinge im großen Stil, konnten ihr Kapital durch Insiderinformationen oder andere kriminelle Umgehung der Bankensperre abziehen. Für die Wirtschaft des Inselstaates wird dies - trotz der 10 Milliarden aus dem Rettungsschirm - kurz- oder mittelfristig in eine tiefe Rezession führen. Die Steueroase Zypern wird wohl trockengelegt werden, aber diejenigen, die sie genutzt haben, werden ungeschoren davon kommen.

Das anfänglich angedachte Modell, das ausnahmslos alle Bankkunden mit einer Zwangsabgabe belegen wollte, war von der Regierung in Nikosia vorgeschlagen und von den anderen Regierungen und der Troika erstaunlich einmütig abgenickt worden. Nur gab es da ein kleines Problem: die Bevölkerung, griechisch
demos, also der (angebliche) Souverän in der demokratia, der „Volksherr-schaft“, bekam davon Wind und begannen massiv zu protestieren. Daraufhin bekamen die Parlamentarier kalte Füße und lehnten diesen Entwurf ab. Aber durch die stille Übereinkunft der nationalen Regierung und der Troika ist ein Präzedenzfall geschaffen, der zeigt, dass jene - die Politik im Dienste des 1% und des Finanzsektors - nicht davor zurückschrecken, die Bürger der mittleren Einkommen oder Vermögen zu enteignen, um mit deren Einkommen bzw. Vermögen die Spekulations-Wettschulden der Casino-Banken (Europa, USA) oder die Staatsschulden, die durch korrupte Beamtenapparate, mafiöse Verstrickungen und fehlende Steuereinnahmen durch Steuerflucht (Italien, Griechenland) oder imperialistische Kriege für die Wirtschaft (USA) entstanden sind (bei den Banken bzw den Hedgefonds und Großkäufern in Staatsanleihen, also letztlich auch wieder bei wenigen “fat cats“) zu begleichen. Das ist das wahre Gesicht des von der Finanzoligarchie beherrschten plutokratischen Staatsmonopolkapitalismus. Der Freitag nennt es das "Geschäftsmodell Schneeballsystem":

"
Zypern zeigt die Krise des Geldsystems, dem wir uns ausliefern. Wenn die Zypern-Erfahrung Panik an den Bankschaltern der Euroraumes heckt, bricht dieses System zusammen. Will heißen, wenn morgen alle Sparer in Deutschland mit Einlagen um die 100.000 Euro diesen Betrag abheben wollen, ist die Einlagengarantie der Bundesregierung für eben diese 100.000 Euro nichts mehr wert. Es würde dann schnell klar, Sparguthaben sind nur virtuelle Buchgelder, die nicht ohne weiteres abrufbar – sprich: realisierbar – sind, weil Banken eben keine Geldbewahr-Anstalten, sondern Akteure eines Finanzmarktes sind und mit dem Geld ihrer Kunden ein mehr oder weniger gelungenes Geschäftsleben bestreiten. Wir haben es genau genommen mit einer Art Schneeballsystem zu tun, bei dem um Gotteswillen nie alle Anspruchsberechtigten ihre Ansprüche auf einmal geltend machen dürfen. 
Kein Staat der Welt kann garantieren oder im Zweifelsfall gar ersetzen, was sie dabei unter Umständen verlieren oder verspielen. Diese Einsicht ist so alt wie das Geld. Nur hat eben die Zypern-Krise das Bewusstsein dafür geschärft, wie leicht dieses System erschüttert werden kann, dass sich der Vergleich mit einen Kartenhaus aufdrängt, wäre er nicht allzu abgegriffen." (Lutz Herden, 29.03.13)


Bei den Arbeitslosen (in fast ganz Europa massiv steigend, krassestes Beispiel Spanien) gibt es nichts mehr zu holen bzw. zu kürzen. Die lohnabhängigen Einkommensempfänger wurden in fast ganz Europa, in Deutschland größtenteils durch die Arbeitsmarktreformen („Flexibilisierung“, d.h. mehr prekäre und Teilzeit-Arbeitsverhältnisse) vor zehn Jahren, anderswo durch die von der Troika diktierte Sparpolitik, bereits durch Dumpinglöhne und Sozialabbau seit Jahren im gleichen, prekär-niedrigen bis leicht unterdurchschnittlichen Einkommensbereich gehalten oder büßen durch Inflation und Lohnkürzungen seit Jahrzehnten an Einkommen ein. Dort ist also auch nichts mehr zu holen. Daher trifft es nun in Zypern und wahrscheinlich mittel- oder langfristig auch anderswo die (gehobene) Mittelschicht. Die Umverteilung von ganz unten nach oben ist längst etabliert; nun könnte die Umverteilung von der Mitte nach ganz oben folgen.



22.03.2013

"War on terror", Irakkrieg und schöne neue (Arbeits-) Welt? Ein Jahrhundert der Propaganda. Zu kulturellen Widersprüchen und Sprechblasen in der heutigen Arbeits-, Konsum- und Überflussgesellschaft

Eigentlich hat der neoliberale Kapitalismus , der in den letzten dreißig Jahren zum Marktfundamentalismus oder -totalitarismus wurde, abgewirtschaftet: Eine an den Jahrhunderte zurückliegenden Feudalismus erinnernde krasse sozio-ökonomische Ungleichheit, nicht mehr nur in den Schwellenländern, sondern weltweit, tritt als sein Resultat – spätesten seit “occupy“ – immer mehr Leuten ins Bewusstsein. Diese ist Folge einer nun bereits jahrzehntelang andauernden steten Umverteilung von unten nach oben, ins Werk gesetzt von den politischen Marionetten des 1% der Bevölkerung, das den Löwenanteil des gesellschaftlichen Vermögens innehat. Dieses neofeudale System hält sich jedoch (noch?) durch Ablenkungsmanöver und Verschleierungstaktik auf vielen Ebenen (Politik, Arbeitswelt, Wirtschaft, Freizeit) am Leben.

"Shop until you drop": Konsumkritisches Graffito des englischen Künstlers Banksy

Der „wissenschaftliche Kapitalismus“ (David Bosworth) beförderte gegen Ende des letzten Jahrhunderts zunehmend eine Art "corporatism" oder "corporate totalitarianism", d.h. Wirtschafts-, Markt- oder Wachstumstotalitarismus, basiert aber auf der bereits zu Beginn des 20. Jahrhundert professionalisierten Propaganda. Das Kontrollparadigma der Staaten und der sie im Würgegriff haltenden großen (multinational und global agierenden) Wirtschaftsunternehmen, und der Sozialdarwinismus, der der nach wie vor hegemonialen neoliberalen Prägung des Kapitalismus zugrunde liegt, werden durch eine Propaganda verschleiert, die sich als “false flag“-Aktionen bzw Falschinformationen in der Politik, als Betonung von „Teamfähigkeit“ und „Arbeitsklima“ in der Arbeitswelt und als Propagierung einer sterilen und uniformen Schein-(Werbe-)Welt in der Konsum-Gesellschaft manifestiert. 

Die professionalisierte Propaganda in der Politik entstand vor etwa einem Jahrhundert, wie so vieles, im und durch den Krieg und wurde erstmals auf staatlicher Ebene zuerst vor knapp hundert Jahren, in der Kriegsberichterstattung der kriegführenden Parteien des Weltkriegs, institutionalisiert: Im Juli 1914 wurde in Österreich-Ungarn das „k. u. k. Kriegspressequartier“, im August das “War Propaganda Bureau“ in London und im Oktober die „Zentralstelle für Auslandsdienst“ im Deutschen Reich gegründet. Frankreichs „Maison de la Presse“ folgte 1916, das US-amerikanische „Committee on Public Information“ 1917, nach Kriegseintritt der Vereinigten Staaten.


Zwei Jahrestage propagandistischer Meisterleistungen erleben wir in diesem Frühjahr. Im Februar jährte sich der Reichstagsbrand zum siebzigsten Mal. Die gerade an die Macht gelangten Nationalsozialisten legten den Brand und beschuldigten dann „die Kommunisten“, in Person des Niederländers Marinus van der Lubbe, der Tat. Sie benutzten paradoxerweise den Brand des Reichstagsgebäudes, um die Institution, die sich darin traf, das seit 1871 bestehende Parlament des Deutschen Reiches, mittels des „Ermächtigungsgesetzes“
(„Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“), datierend vom 24. März 1933, auszuschalten. Die Folgen waren die „Gleichschaltung“ allen gesellschaftlichen Lebens in Deutschland und die zwölf dunkelsten und verhängnisvollsten Jahre der deutschen Geschichte. Die faktenverdrehende und sogar Sprache neu erfindende gesellschaftliche Agitations-, Hetz- und Manipulations-Maschinerie der Nationalsozialisten, gesteuert aus dem schon offen so genannten „Reichspropagandaministerium“, leistete einen großen Beitrag dazu, das in weiten Teilen liberale, weltoffene und wissenschaftlich führende Deutschland der 1920er Jahre zu einem duckmäuserisch-denunziatorischen und national verblendeten Blockwart-Staat umzugestalten. Die Nazidiktatur, in Verbindung mit den totalitären Elementen des Stalinismus (bei ihm der alles überwachenden „Big Brother“) und den klassistischen Aspekten des Kapitalismus (bei ihm eine dumm gehaltene Unterschicht der „proles“) hatte George Orwell wohl vor Augen, als er direkt nach dem Zweiten Weltkrieg sein dystopisches Werk „1984“ schrieb.


Reichsgesetzblatt zum "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich" (24.03.33)


Eine weitere propagandistische Meisterleistung vollführten die Vereinigten Staaten unter George W. Bush in den Jahren nach den Anschlägen von New York und Washington am 11. September 2001, an deren Authentizität als von außen verübten Anschlägen ja auch bei vielen erhebliche Zweifel bestehen, die diese für eine „false flag“-Aktion halten. Die US-Eliten riefen als unmittelbare Reaktion – des alten Feindbildes Sowjetunion zehn Jahre zuvor verlustig gegangen – den „Terrorismus“ als den neuen Feind aus und propagierten anstatt eines kriminalistisch-aufklärerischen Vorgehens gegen die islamistischen, terroristischen Netzwerke, die sich als Reaktion auf die jahrzehntelangen US-Interventionen im Nahen Osten gebildet hatten, einen diffusen „Krieg gegen den Terror“; somit legte sich wieder „der Nebel des Krieges“ über die US-Gesellschaft (und durch die globalen Medien auch über andere Weltteile), den schon Clausewitz in seinem zum Klassiker gewordenen „Vom Kriege“ beschrieb: „
Der Krieg ist das Gebiet der Ungewißheit; drei Vierteile derjenigen Dinge, worauf das Handeln im Kriege gebaut wird, liegen im Nebel einer mehr oder weniger großen Ungewißheit“.

Obwohl erwiesenermaßen keine Verbindung zwischen dem Anführer des für “
nine eleven“ (s.o.) verantwortlich gemachten Osama bin Laden und der Al-Qaida und dem irakischen Diktator Saddam Hussein bestand (im Gegenteil, dieser stand Al-Qaida auf-grund deren Nähe zu den mit ihm verfeindeten Saudis skeptisch gegenüber), schafften es die “spin doctors 
in Washington bzw. Langley (Verteidigungsministerium und CIA), durch Konstruktion einer solchen Verbindung sowie durch die Fabrikation von angeblichen Beweisen für die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak, dass eine große Mehrheit der US-Bevölkerung die Invasion des Irak befürwortete. Diese begann vor genau zehn Jahren, im März 2003. Einen Monat zuvor hatten gegen diesen Krieg die größten zeitgleichen globalen Proteste der Geschichte stattgefunden, ein Zeichen, dass zumindest mancherorts und manchmal eine kritische Masse der Bevölkerung der Propaganda keinen Glauben schenkt. Durch den neuen „Krieg gegen den Terror“ lenkten die Eliten die Aufmerksamkeit auf den angeblichen Antagonismus zwischen dem (christlich-jüdischen) „freien“ Westen und dem „despotischen“ Islam bzw. Islamismus. Bush verwendete den Begriff „Kreuzzug“ und lud damit den Konflikt
religiös auf.


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G. W. Bush am 16. September: "This crusade, this war on terrorism, is gonna take a while"

Was dabei in den Hintergrund trat, war, dass der Kapitalismus nach 1989/91, nach seinem „Sieg“ über den Kommunismus im Kalten Krieg, durch Deregulierung der Märkte, v.a. des Finanzsektors und des Arbeitsmarktes, zu einem entfesselten Raubtier- bzw Turbokapitalismus geworden war, der nicht mehr durch das Korrektiv der globalen Systemkonkurrenz mit dem Kommunismus gezügelt wurde. Erst etwa sieben Jahre nach dem 11. September 2001, im Herbst 2008, wurden diese Exzesse und ihre krisenhaften Folgen vielen bewusst, die um ihre Ersparnisse bangten, als die „Blase“ des Finanzsektors platzte. Propagandistisch geschickt gelang es der Finanzbranche jedoch, mit Hilfe ihrer Lakaien in der Politik, diese ihre Krise nach kurzer Zeit als eine Krise der Staaten und deren Finanzen, also eine „Staatsschulden-krise“, zu verkaufen; dabei wurden die nach wie vor deregulierten Märkte auf die „schwachen“ Staaten der Eurozone losgelassen mit dem (bisher erfolgreichen) Ziel, diesen – erneut mit Hilfe ihrer Lakaien, der „Troika“ - unter Druck ihre neoliberale Doktrin von „Flexibilität“ und „Wettbewerbsfähigkeit“ aufzuzwingen, die Umverteilung von unten nach oben dort weiter zu betreiben (der Fall Zypern ist nur das neueste und offensichtlichste Beispiel dieser sich wie ein „roter Faden“ durch die von Deutschland(s Banken) vorangetriebenen „Eurorettungs“-Politik ziehenden Leitlinie).

Weite
Teile der Bevölkerungen, vor allem im "Westen", werden durch eine weitere Art der Propaganda subtil manipuliert, durch die Propagierung des „Wohlfühl-Ideals“ bei der Arbeit, d.h. e
iner scheinbare Aufhebung des der postindustriellen Gesellschaft zugrunde liegenden kulturellen Widerspruchs zwischen Disziplin und Hedonismus durch den Versuch, diese in einer Art postindustrieller Synthese einer „schönen neuen (Arbeits-) Welt“ zu verbinden. Dieser Versuch wird am Arbeitsplatz, v.a. in den Bürojobs, den unteren Etagen der Großkonzerne an den Mitarbeitern wie an Versuchskaninchen getestet: die Vorspiegelung eines „Wohlfühl-Arbeitsplatzes“, an dem sich Mitarbeiter in einem angenehmen „Arbeitsklima“ mit ihrer Firma identifizieren sollen, als Teil von ihr fühlen sollen, quasi organisch, nicht mehr als Individuum, sondern als Teil eines großen „Teams“, in einem „Nest, Zuhause, aber im Business-Umfeld“, wie es wörtlich heißt (!!). Dies wird in dem Dokumentarfilm „Work hard, play hard“ von CarmenLosmann (Regie) und Dirk Lütter (Bildgestaltung) aus dem Jahr 2011 gezeigt.



Trailer zu "Work hard, play hard": "Wenn dann die Ressource Mensch weniger wert [wird], dann muss man sich auch um die kümmern, die man gerne haben wollte, also die richtigen Menschen" (1:46-1:53)

Dieser Film, rein deskriptiv vorgehend,
entlarvt den inhaltslosen bzw verschleiernden und unsäglichem “newspeak“ (Orwell)) der Unternehmensberater und PR-Profis. Mitarbeitertrainings werden durchgeführt, in denen Mitarbeiter zwanghaft zu einem „Team“ gemacht werden sollen und dies mit dem Ziel der Umsatz- bzw. Profitmaximierung des Unternehmens. Während des Trainings antwortet ein „Proband“, gefragt nach „seinem Ziel“: „Ich werde demnächst noch mehr, besser, verstärkt kommunizieren, um Prozesse, Aufgaben schneller und zielführender erledigen zu können, was am Ende heißt: mehr Umsatz“, ein anderer: „ich werde demnächst noch mehr arbeiten und schneller noch mehr lernen, um mein Team noch besser unterstützen zu können“. Die Indoktrination funktioniert also. Die Frage ist nur: Wem nutzt sie? Letztlich dient sie allein der Aufrechterhaltung der nach Profit und Wachstum strebenden Arbeitswelten und Wirtschaftsstrukturen des Marktfundamentalismus, oder wie es einer der Leiter dieser Prozesse ausdrückt: „es ist weniger die Firma, die das fordert, sondern der Markt fordert es, (…) d.h. wir [Firma] moderieren nur, machen nur transparent (…)“. Die „Mega-Wachstumsmentalität“ (ein Manager von Unilever in einer „Neujahrsansprache“ vor den Mitarbeitern 2010) steht im Vordergrund, nicht der Mitarbeiter als Mensch.



06.03.2013

„(K)ein einig Volk von Brüdern (und Schwestern)“? - zu „vox populi“ und „Abzockerinitiative“. (Direkte) Demokratie zwischen populistischer Anfälligkeit und echter Chance zur Bürger-Emanzipation

Eine Analyse der Ergebnisse der Wahl in Italien sowie der jüngsten Volksabstimmung in der Schweiz spiegelt eine grenzüberschreitend wachsende Distanz zwischen (Stimm-) Bürgern einerseits und Polit- und Wirtschaftseliten andererseits wider. Während aber Italien erneut gespalten und konzeptlos dasteht, gehen die Schweizer in einem (kleinen) Schritt den Weg in eine sozial befriedete(re) Zukunft. Weitere direktdemokratische Impulse könnten aus der Eidgenossenschaft bald folgen.


Eindeutiges Ergebnis: Schweizweit stimmten alle Kantone für die "Abzockerinitiative" (Spitzenreiter war Jura mit 77,1%, Schlusslicht Obwalden mit 56,1% Ja-Stimmen) 


Vor zwei Wochen wählte Italien; viele in Europa, vor allem nördlich des Brenners, waren (zu Recht oder Unrecht) belustigt bis entsetzt über das Ergebnis, das einen Populisten von neoliberal-rechts, Berlusconi, zurück, und einen Systemoppositionellen von stramm links, Grillo, neu in das politische System Italiens brachte. Sogar von „höchster“ deutscher (Kanzlerkandidaten-) Stelle wurde das Resultat kritisiert; Peer Steinbrück verstieg sich zu der Aussage, „zwei Clowns“ hätten in Italien die Wahl gewonnen. Dem kann man subjektiv und im ersten Moment aus deutscher oder nordeuropäischer Sicht zustimmen: ein Wahlvolk scheint nicht besonders reif, das (natürlich manipuliert von einem Medienimperium) jemanden trotz zahlreicher Skandale mehrfach in das politische Geschehen zurück wählt, nur weil er Medienprofi und Populist mit einfachen Parolen ist.


Berlusconis linker Konkurrent, Pier Luigi Bersani, konnte aufgrund seiner eher medienscheuen, intellektuellen Art in einer solchen Situation kein Kapital aus dem von Berlusconi angerichteten Misere schlagen; von Franz Josef Strauß stammt das (direkt-) demokratiekritische Zitat: „vox populi, vox Rindvieh“. Dabei ist jedoch natürlich objektiv und bei genauerer Analyse immer auch die Situation der jeweiligen Bevölkerungen mit zu beachten: Italien befindet sich in einer tiefen Wirtschaftskrise, die die meisten Leute zu Recht dem politischen System bzw der Verflechtung zwischen Mafia, Politik und (Schatten-)Wirtschaft ankreiden; daher stimmten die Aufgeklärt-Kritischeren und/oder Ärmeren, prekär Lebenden unter den Politikverdrossenen für Grillos „Cinque Stelle“-Bewegung, die Nationalisten und/oder Etablierteren, Reicheren unter ihnen für Berlusconi.


Während in Rom auf unabsehbare Zeit weiter um eine Regierungsbildung gerungen werden wird, stellt sich im nördlichen Nachbarland, der reichen Schweiz, die Situation wirtschaftlich wie politisch anders dar. Wieder einmal ist das schweizerische Stimmvolk an die Urnen gerufen worden, diesmal zur Abstimmung über drei Initiativen, von denen die sogenannte „Initiative gegen die Abzockerei“ die außerhalb der Eidgenossenschaft am breitesten verfolgte war. Im Titel ist sie in typisch schweizerdeutscher Klarheit (aber auch Einfachheit) als „Abzockerei“ formuliert, was im restlichen deutschen Sprachraum wohl nicht so formuliert worden wäre. Anlass sind die selbst für schweizerische Verhältnisse horrenden Managergehälter bzw Abfindungen; die Spitze des Eisbergs war vor wenigen Wochen das Bekanntwerden einer Abfindung von 72 Millionen Franken, die der bisherige Verwaltungsratspräsident des Pharmakonzerns Novartis nach seinem Ausscheiden dieses Jahr für die nächsten sechs Jahre erhalten sollte (12 Millionen Franken jährlich). Dies spielte den Befürwortern der bereits 2005 von Thomas Minder, einem Unternehmer aus Schaffhausen, lancierten Initiative im Kampagnen-Endspurt vor dem vergangenen Sonntag in die Karten. Das Ergebnis war historisch in seiner unerwarteten Eindeutigkeit, bedenkt man, dass sich der mächtige Wirtschaftsverband „Economiesuisse“ mit einer 8 Millionen Franken teuren Angstkampagne („drohende Abwanderung von Unternehmen“) gegen die Initiative positioniert hatte (die Ja-Seite selbst hatte nur 200 000 Franken zur Verfügung). Wie in dem auf dem schweizerischen Nationalheldenepos Wilhelm Tell basierenden Schiller'schen Drama, in der sich die ersten Eidgenossen in der heutigen Zentralschweiz gegen den übermächtigen Landvogt stellen, zeigte sich das Schweizer Stimmvolk als ein „einig Volk von Brüdern“: Ausnahmslos alle Kantone zwischen Schaffhausen und Lugano, zwischen St. Gallen und Genf, stimmten für die Initiative, insgesamt schweizweit mit fast 70%. Dabei wurde auch der kulturelle und sprachliche „Röstigraben“ überwunden, der sich sonst üblicherweise zwischen der konservativeren deutschsprachigen Zentral- und Ostschweiz und der eher liberalen Romandie, d.h. der Westschweiz (wobei das italianophone Tessin meist wie die Deutschschweizern abstimmt) bei Volksabstimmungen in der Schweiz auftut.


So revolutionär freilich ist das Ziel der Initiative nicht, sie rüttelt nicht an den Grundfesten des schweizerischen (und globalen) Wirtschaftssystems: Es geht darum, Gehaltsexzesse nach oben zu verhindern, indem börsennotierte Unternehmen die Managergehälter jährlich von den Aktionären absegnen lassen müssen; zudem sollen Abgangsentschädigungen (Abfindungen) nicht mehr zulässig sein. Es ist ein unerwartet klares Votum gegen die in keinem Verhältnis zu den erbrachten betriebswirtschaftlichen, geschweige denn volkswirtschaftlichen „Leistungen“ stehenden Summen im (meist zweistelligen) Millionenbereich, die CEO's oder auch andere Manager, nicht nur als Gehalt, sondern gerade auch nach dem Ausscheiden aus diesen Unternehmen, also nicht mehr für direkte Anstellung und Gegenleistung, sondern zum Abschied als „goldenen Handschlag“ oder „Absprung“ als „goldenen Fallschirm“ kassieren.



05.03.2013

Stuttgart 21 - aus aktuellem Anlass: "Titanic 21" steuert weiter schnurstracks auf Eisberg zu

Der DB-Aufsichtsrat hat am heutigen Dienstag entschieden, Stuttgart 21 trotz (fest stehender) Mehrkosten in Höhe von mehr als 50% des bisherigen Kostendeckels (6,5 statt 4,9 Milliarden €) zu bauen. Die Bahn, die Berliner Koalition und die SPD steuern damit weiterhin sehenden Auges auf den titanischen Eisberg zu.



Hauptsitz der Deutschen Bahn in Berlin


Läuft es nach BERliner Planungs- und Zeitmäßstaben, wird es nicht 2022, sondern 2032 bis zur Fertigstellung, nach Hamburger philharmonischen und Leipziger citytunneligen Kostenmaßstäben werden es eher 12-13 als 6,5 Mrd. Gesamtkosten, sowie nach Kölner stadtarchivarischen Tiefbau-Mäßstaben (nach vier Jahren übrigens immer noch nicht aufgeklärt!) eher eine geologische Gipskeuper-Pandorabüchse als ein hundsgewöhnliches Tunnelbohren. Selbst wenn aber all diese Maßstäbe nicht angelegt werden und diese Fälle nicht eintreten, ist S21 im "best case scenario" dennoch bereits jetzt unwirtschaftlich (im Sinne von betriebs- u. volkswirtschaftlicher Effizienz) und von der Finanzierung her (Mischfinanzierung) verfassungswidrig. Aber die irrational-nibelungentreuen Verstrickungen zwischen (schwarz-gelb-roter) Politik, Bahn und Immobilienwirtschaft scheinen zu fest, als dass man sie wie einen gordischen Knoten mit so etwas Rationalem wie betriebs- oder volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen zerschlagen könnte...

Hierzu heißt es bei "Bei Abriss Aufstand", einer Internetplattform der S-21-Kritiker ("Die Entscheidung des DB-Aufsichtsrates ist unverantwortlich"):
"Die Entscheidung des Bahn-Aufsichtsrats ist im höchsten Maße unverantwortlich, denn nun soll noch mehr Steuergeld für Stuttgart 21 verbrannt werden. Die Aufsichtsräte haben nicht einmal auf die Berechnungen des Bundesrechnungshofs gewartet. Die Ausstiegskosten, die die Bahn benennt, sind vollkommen unrealistisch hoch, ebenso wie schon jetzt klar ist, dass die wahren Projektkosten weit über den jetzt zugegebenen Kosten liegen – politisch gewollte Zahlendreherei und ein Hohn für alle Steuerzahler. Kanzlerin Merkel wird sich noch wundern, wie ihr diese Entscheidung im beginnenden Wahlkampf auf die Füße fallen wird, denn der Protest gegen Stuttgart 21 wird weitergehen, schon am nächsten Montag mit der 164. Montagsdemo gegen S21. Und das Tunnelprojekt Stuttgart 21 wird an seinen unzähligen technischen Problemen scheitern – vom mangelhaften Brandschutz über unbeherrschbare geologische Risiken bis hin zu ungezählten Planungsfehlern."

Ein treffender Kommentar auf facebook zum Thema: "
Diejenigen, die diesen Wahnsinn entschieden haben, werden ja niemals finanziell betroffen sein."

Das von Vertretern der Berliner Regierungskoalition so wie von "Führungskräften", also "Leistungsträgern" der Deutschen (Börsen-)Bahn, "hochkarätig" besetzte Gremium hat also erneut für die weitere Privatisierung von Steuergeldern, d.h. die Sozialisierung der Mehrkosten bei gleichzeitiger Gewinnmarge für die (bald Privat-) Bahn und die Immobilienwirtschaft entschieden.