Der
modus operandi bei der Bankenrettung in Zypern - eine
Teilbeteiligung der Kontoinhaber mit über 100.000 € durch eine
Zwangsabgabe, die etwa ein Drittel der Gesamtsumme von 15 Milliarden
€ bringen soll - ist auf den ersten Blick gerechter als die
Modelle anderswo, wo alle europäischen Steuerzahler für die
Verbindlichkeiten der Banken in vollem Umfang hafteten. Die
Steueroase wurde trockengelegt. Bei näherer Betrachtung hier trifft
es aber auch dort nicht die, die am meisten von diesem
Haupt-Geschäftsmodell Zyperns profitierten. Der übliche
Doppelstandard der Plutokratie - viel Geld setzt die ansonsten
gültigen Regeln außer Kraft - greift auch hier erneut.
Gebäude der "Bank of Cyprus" in Aglandija, einem Vorort der Hauptstadt der Republik Zypern, Nicosia |
Denn auch für Zypern galt anscheinend der Or'wellsche Grundsatz “All animals are equal, but some animals are more equal than others“ (“Animal Farm“,1945). Die vorgenommene Teil-Enteignung ging zu Lasten der Mittelschicht und zu Gunsten weniger. Dies könnte den ohnehin bröckelnden sozialen Frieden noch stärker gefährden und das System des (post-) demokratischen Kapitalismus an seine Grenzen bringen. Während es für die Kontoinhaber mit kleinen und mittleren Summen eine strikte Sperre für größere Abhebungen bzw. Überwei-sungen gab (und trotz inzwischen nach fast zwei Wochen Zwangs-“bank holiday“ wieder geöffneter Banken immer noch gibt), war es den „Investoren“ mit hohen Summen „auf wundersame Weise“ möglich, diese zu umgehen und ihr Geld aus den Banken Zyperns abzuziehen.
Durch die Grenze von 100.000 Euro traf es zwar wenigstens nicht die „Kleinsparer“ (wobei 100.000 € für zypriotische Verhältnisse (Durchschnittseinkommen ca 1.750 €/Monat, ca. 30% unter dem in der BRD) auch schon ein weit überdurchschnittlicher Betrag ist); dieses Mal sind aber die Mitglieder der Mittel-schicht, die „Besserverdienenden“, Opfer der Umverteilung nach oben, jene, die zu wenig Kapital haben, um außerhalb der normalen Spielregeln, die für 99% der Menschen gelten, zu agieren, aber zu viel, um unter die 100.000-Grenze zu fallen. Diese werden nun durch die Abgabe von 30-50% kräftig teil-zwangsenteignet. Es sind meist einheimische Unternehmer, die auf der Insel bleiben müssen oder wollen. Sicherlich, auch sie profitierten von den niedrigen Steuersätzen, die dazu führten, dass der Finanzsektor Zyperns auf das Achtfache des Bruttoinlandsprodukts anschwoll und daher zu der Schlüsselindustrie des Inselstaates wurde; aber die Hauptprofiteure, ausländische Geldwäscher oder Steuerflüchtlinge im großen Stil, konnten ihr Kapital durch Insiderinformationen oder andere kriminelle Umgehung der Bankensperre abziehen. Für die Wirtschaft des Inselstaates wird dies - trotz der 10 Milliarden aus dem Rettungsschirm - kurz- oder mittelfristig in eine tiefe Rezession führen. Die Steueroase Zypern wird wohl trockengelegt werden, aber diejenigen, die sie genutzt haben, werden ungeschoren davon kommen.
Das anfänglich angedachte Modell, das ausnahmslos alle Bankkunden mit einer Zwangsabgabe belegen wollte, war von der Regierung in Nikosia vorgeschlagen und von den anderen Regierungen und der Troika erstaunlich einmütig abgenickt worden. Nur gab es da ein kleines Problem: die Bevölkerung, griechisch demos, also der (angebliche) Souverän in der demokratia, der „Volksherr-schaft“, bekam davon Wind und begannen massiv zu protestieren. Daraufhin bekamen die Parlamentarier kalte Füße und lehnten diesen Entwurf ab. Aber durch die stille Übereinkunft der nationalen Regierung und der Troika ist ein Präzedenzfall geschaffen, der zeigt, dass jene - die Politik im Dienste des 1% und des Finanzsektors - nicht davor zurückschrecken, die Bürger der mittleren Einkommen oder Vermögen zu enteignen, um mit deren Einkommen bzw. Vermögen die Spekulations-Wettschulden der Casino-Banken (Europa, USA) oder die Staatsschulden, die durch korrupte Beamtenapparate, mafiöse Verstrickungen und fehlende Steuereinnahmen durch Steuerflucht (Italien, Griechenland) oder imperialistische Kriege für die Wirtschaft (USA) entstanden sind (bei den Banken bzw den Hedgefonds und Großkäufern in Staatsanleihen, also letztlich auch wieder bei wenigen “fat cats“) zu begleichen. Das ist das wahre Gesicht des von der Finanzoligarchie beherrschten plutokratischen Staatsmonopolkapitalismus. Der Freitag nennt es das "Geschäftsmodell Schneeballsystem":
"Zypern zeigt die Krise des Geldsystems, dem wir uns ausliefern. Wenn die Zypern-Erfahrung Panik an den Bankschaltern der Euroraumes heckt, bricht dieses System zusammen. Will heißen, wenn morgen alle Sparer in Deutschland mit Einlagen um die 100.000 Euro diesen Betrag abheben wollen, ist die Einlagengarantie der Bundesregierung für eben diese 100.000 Euro nichts mehr wert. Es würde dann schnell klar, Sparguthaben sind nur virtuelle Buchgelder, die nicht ohne weiteres abrufbar – sprich: realisierbar – sind, weil Banken eben keine Geldbewahr-Anstalten, sondern Akteure eines Finanzmarktes sind und mit dem Geld ihrer Kunden ein mehr oder weniger gelungenes Geschäftsleben bestreiten. Wir haben es genau genommen mit einer Art Schneeballsystem zu tun, bei dem um Gotteswillen nie alle Anspruchsberechtigten ihre Ansprüche auf einmal geltend machen dürfen. Kein Staat der Welt kann garantieren oder im Zweifelsfall gar ersetzen, was sie dabei unter Umständen verlieren oder verspielen. Diese Einsicht ist so alt wie das Geld. Nur hat eben die Zypern-Krise das Bewusstsein dafür geschärft, wie leicht dieses System erschüttert werden kann, dass sich der Vergleich mit einen Kartenhaus aufdrängt, wäre er nicht allzu abgegriffen." (Lutz Herden, 29.03.13)
Bei den Arbeitslosen (in fast ganz Europa massiv steigend, krassestes
Beispiel Spanien) gibt es nichts mehr zu holen bzw. zu kürzen. Die
lohnabhängigen
Einkommensempfänger wurden in fast ganz Europa, in Deutschland
größtenteils durch die Arbeitsmarktreformen („Flexibilisierung“,
d.h. mehr prekäre und Teilzeit-Arbeitsverhältnisse) vor zehn
Jahren, anderswo durch die von der Troika diktierte Sparpolitik,
bereits durch Dumpinglöhne und Sozialabbau seit Jahren im gleichen,
prekär-niedrigen bis leicht unterdurchschnittlichen
Einkommensbereich gehalten oder büßen durch Inflation und
Lohnkürzungen seit Jahrzehnten an Einkommen ein. Dort ist also auch
nichts mehr zu holen. Daher trifft es nun in Zypern und
wahrscheinlich mittel- oder langfristig auch anderswo die (gehobene)
Mittelschicht. Die Umverteilung von ganz unten nach oben ist längst
etabliert; nun könnte die Umverteilung von der Mitte nach ganz oben
folgen.