29.01.2012

Stuttgart 21 - eine Bestandsaufnahme: keine "schöpferische", sondern sinn- und planlose Zerstörung

"Schöpferische Zerstörung": diesen ursprünglich von Marx stammenden Begriff machte der österreichisch-amerikanische Ökonom Joseph Schumpeter (1883-1950) in seinem Werk "Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie" (1942) zu einem Schlagwort der Wirtschaftstheorie. "Schöpferische Zerstörung" beschreibt in der Schumpeterschen Theorie des Kapitalismus den Kern wirtschaftlicher Dynamik in der Entstehung von Neuem durch die Zerstörung des Alten, die Ablösung alter Strukturen durch neue, auf Innovationen basierenden und diese legitmierenden Strukturen.


Abriss des Südflügels des Bahnhofsgebäudes, Stuttgart Hbf, 2. Februar 2012

In der Postdemokratie (Colin Crouch) des 21. Jh. scheint "Legitimation von Zerstörung durch Innovation" nicht mehr zu gelten. Der Kapitalismus perpetuiert sich nun ohne gesamt-gesellschaftlichen Fortschritt. Beispiel Stuttgart 21: Hier wird Schumpeters Prinzip nur in seiner destruktiven Dynamik angewandt, das innovative Element fehlt: ein funktionierender, alter Eisenbahnknoten soll ohne Not durch einen bereits vor seiner Fertigstellung veralteten
(Bsp. keine Barriefreiheit in einer alternden Gesellschaft u.a.), allenfalls gleichwertigen, wahrscheinlich dysfunktionaleren, neuen abgelöst werden; das Kosten-Nutzen-Verhältnis ist negativ (jedenfalls für die Volkswirtschaft und den Steuerzahler/Bürger, nicht für die bald privatisierte Deutsche Bahn und ECE (s.u.)). Auch bei der praktischen Ausführung dieser Regression verfolgt der Projektbetreiber, die Deutsche Bahn, derzeit in ihrer Planung nur das Prinzip "sinn- und planlose Zerstörung".
Mit dem Südflügelabriss und der Vorbereitung der Fildertunnel-Bohrung wird versucht, Fakten zu schaffen, um nachher die Genehmigung mit Sachzwängen ("unumkehrbar") durchzudrücken. Diese Abrissmaßnahmen - ebenso wie die artenschutzrechtlich bedenklichen Baumfällungen - sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt weder notwendig noch zulässig (fehlende Planfeststellung (s.u.)). Durch die Zerstörung soll zudem eine Machtdemonstration erfolgen, ohne dass jedoch die Macht durch (planerische) Kompetenz und Sachverstand legitimiert wäre. Sie wird hier in ihrer reinsten, unbegründetsten Form ausgeübt, als "die Fähigkeit, Ziele zu erreichen, ohne sich äußeren Ansprüchen unterwerfen zu müssen" (Quelle: "Macht" bei "Wikipedia").Die von den Skeptikern/Projektgegnern prognostizierten, aber vom S-21-Kartell im Abstimmungswahlkampf verschwiegenen Planungspannen und -probleme sind eingetreten:



18.01.2012

„Mainstream-Neinsager“ oder berechtigterweise Zweifelnde? Zur Legitimität des Protests

Von New York bis Santiago de Chile, von Madrid bis Kairo, von Damaskus bis Bukarest und Athen bis Stuttgart - Berichte über mehr oder minder massive, gegen ganz verschiedene Entwicklungen gerichtete und in vielfältiger Form ausgeübte Proteste sind in den Medien seit etwa anderthalb bis zwei Jahren omnipräsent; betrachtet man die Ursachen, so sind diese ebenso vielschichtig und komplex.



28. 09. 2011, 12. Tag des "Occupy Wall Street"-Protests in New York City. „Niemand ist mehr Sklave, als der sich für frei hält, ohne es zu sein.“ (Goethe, Die Wahlverwandtschaften)


Es gibt wohl Schnittmengen zwischen Anonymous, attac, dem Arabischen Frühling, Occupy, Piratenpartei, S-21-Gegnern und anderen Protest- oder Reformbewegungen. Diese lassen sich meiner Meinung nach aber nicht - im positiven Sinne - als eine große, hehre Bewegung zusammenfassen. Ebenso wenig handelt es sich - im negativen Sinn - um eine tumbe Masse, die unreflektiert einer angeblich dem gesellschaftlichen mainstream folgenden „Dagegenkultur“ frönt, wie dies, überspitzt gesagt, ein Artikel in "brand eins" behauptet. Über eine Verlinkung in einem sozialen Netzwerk stieß ich auf diesen Artikel dieses Wirtschaftsmagazins, der, dem Thema der Ausgabe, „Schwerpunkt: Nein Sagen“, folgend, unter dem Titel „Was dagegen?“ diesen gegenwärtigen Proteste die Legitimation abspricht, da viele den Protesten aus "Gruppendruck", wie einem Herdentrieb folgend, in „blindem Gehorsam“ folgen würden:

http://www.brandeins.de/aktuelle-ausgabe/artikel/was-dagegen.html

Hierauf schrieb ich, mich auf eine auf Hannah Arend rekurrierende Stelle des Artikels beziehend, folgenden einen e-mail-„Leserbrief“ als Gegenrede (minimal verändert gegenüber dem Originaltext):

Sehr geehrte Damen und Herren,

in Bezug auf folgende Passage

"Die Protestkultur, die sich eine Hannah Arendt ersehnte, war eine, die den berechtigten Zweifel an die Stelle des blinden Gehorsams setzt. Es war eine Protestkultur von Menschen, die wissen wollten, Aufklärung verlangten und Entscheidungen treffen konnten. Es war der Protest mündiger Bürger, keine Mitmachkultur, die pauschal und ohne großes Nachfragen Dingen ihren moralischen Stempel aufdrückt und persönlichen Geschmack und Gruppendruck zur Wahrheit erklärt.


02.01.2012

Die "Affäre Wulff" wird zum "Fall Wulff": Der Bundespräsident und die Pressefreiheit


Wenn sich der Bericht der Süddeutschen Zeitung als richtig herausstellt, nach dem Christian Wulff bei Redakteuren der "BILD"-Zeitung, sowohl bei Chefredakteur Diekmann als auch bei Springer-Chef Döpfner, angerufen und Diekmann sogar mit einem Strafantrag gedroht haben soll, sollten sie über die Vorgänge um den Privatkredit berichten, hätte die Affäre um den Bundespräsidenten nun eine neue Ebene erreicht.



Christian Wulff (2007)

Es ginge dann nicht mehr um die persönliche Ebene, um an Korruption grenzende Verstrickungen, moralisch fragwürdige Verbindungen zwischen einem Unternehmer und einem Minister- bzw. Bundespräsidenten, sondern um Vorgänge, die man fast schon als "Staatsaffäre" bezeichnen könnte: Das Staatsoberhaupt, oberster Repräsentant eines Landes und damit auch dessen Verfassung verpflichtet, versucht, eines dieser zentralen verfassungsmäßigen Grundrechte, die Pressefreiheit (Art. 5 GG*), zu beschneiden, und droht dabei sogar, seine persönliche Macht dafür zu mißbrauchen.



01.01.2012

Zehn Jahre Euro. Überlegungen (Eine Umfrage der BamS zur EU-Mitgliedschaft und ein erwünschtes Resultat - Ergänzung)

Am heutigen Neujahrstag 2012 gibt es den Euro nun seit zehn Jahren als Zahlungsmittel (Buchgeld im war er zuvor schon seit 1999). Hierzu einige Überlegungen im Bezug auf die angeblich vorteilhaftere Rückkehr zur D-Mark bzw. ein Nachtrag zum Post mit dem Thema "Euro/EU" vom 12.12.11:


Das Euro-Symbol vor der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main (2005)

Die Preise sind in den letzten zehn Jahren stabiler als zuvor. Die Teuerung bzw. Inflationsrate ist seit Euro-Einführung, also seit 2002, niedriger als zuvor, 1,6% im Vergleich zu 2,2% in den letzten 10 Jahren der DM (1991-2001)(Tagesschau, 01.01.12)

Dass die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland auseinandergeht, liegt nicht am Euro, sondern an den im Vergleich zur Inflation niedrigeren Lohnsteigerungen der lohnabhängigen unteren und mittleren Einkommen.