Durch die neuerlichen
Enthüllungen über die NSA-Überwachung in Europa verlieren die USA nun auch in weiteren Teilen
der Bevölkerung an Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die von vielen (in der politischen Mitte) bisher so empfundene Rolle als im Grunde doch "wohlmeinende Weltmacht" ("benevolent hegemon"). Präsident Obama, 2008 nach den katastrophalen
Bush-Jahren mit reichlich Vorschusslorbeeren gestartet, hat die
Hoffnungen der Europäer und vieler anderer auf eine weniger
imperialistische Rolle der USA enttäuscht. Die "Freundschaft" der USA zu ihren westlichen "Partnern", dies tritt nun mehr denn je zutage, ist nur ein Euphemismus für globalen wirtschaftlichen Konkurrenzkampf.
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Die Flaggen der Mitgliedsstaaten der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) vor dem Hauptquartier der Organisation in der Hofburg in Wien |
Die NSA-Überwachung findet überall statt, in Frankreich, Spanien und Deutschland (im letzteren Falle sogar das Ausspionieren der mächtigsten Politikerin des Kontinents) und in Südamerika (Brasilien): Die kulturelle Entfremdung der USA von den anderen Nationen und Staaten des früher so genannten „freien“ „Westens“ geht weiter; heute benutzt niemand, der bei einigermaßen klarem Verstand ist, mehr dieses hehre Adjektiv „frei“ oder „freiheitlich“ in diesem Zusammenhang. Die Ausnahme bildet wie fast immer, vasallenhaft, das Vereinigte Königreich, das sich in der Ausspäh-Affäre einmal mehr als williger Helfer geriert und sich weiter von seinen europäischen Nachbarn differenziert. Nicht nur innenpolitisch, wo seit einigen Jahren die Steinzeit-Extremisten von der “Tea Party“ die einst stolze politische Diskurs-Tradition des Landes weiter zerstören und durch ihre Lakaien von “Fox News“ die latent rassistisch-xenophobe, marktfundamentalistisch-sozialdarwinistische Grundstimmung im Land verstärken, sondern auch außenpolitisch tritt nun auch für die bisher unkritischeren Teile der Öffentlichkeit Europas der neo-imperialistische Charakter der USA hervor, der bis 1989/90 durch die Macht der Sowjetunion in Schach gehalten wurde.
Verschiedene Interventionen der USA in Krisenregionen (Irak, Balkan, Somalia) wurden im darauf folgenden Jahrzehnt zum Großteil von der Mehrheit der Bevölkerungen in Europa unterstützt. Die bipolare Machtbalance des atomaren Gleichgewicht des Schreckens zwischen NATO und Warschauer Pakt (bekannt unter dem Akronym “MAD – Mutually Assured Destruction“) ist durch eine „pax americana“ ersetzt worden. Die USA erlebten etwa ein Jahrzehnt lang einen weltgeschichtlich „unipolaren Moment“, ihre kulturelle, militärische und politische Macht war (wie wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg) auf dem Zenit. Der US-Politikwissenschaftler Joseph Nye (Harvard) prägte zu diesem Zeitpunkt, im Jahr 1990, den Begriff der “soft power“, um zu beschreiben, wie Weltmächte, und im Speziellen die Vereinigten Staaten von Amerika, auf „weichem“ Weg politische Macht v.a. auf der Ebene der Bevölkerungen ausübten, d.h. über sozio-kulturelle, mediale Beeinflussung.
Die USA waren in den Jahrzehnten nach 1945 bei den westlichen Bevölkerungen weniger wegen der “hard power“, d.h. der militärischen Schutzmachtrolle, die sie in Westeuropa inne hatten, beliebt, sondern v.a. wegen der Ideale und Mythen, die sie seit den Pioniertagen an der “frontier“ als Grundpfeiler des angeblichen US-amerikanischen Nationalcharakters pflegen, von Leben, Freiheit und dem Streben nach Glück ("Life, liberty and the pursuit of happiness“); letzteres v.a. als Konsumismus, der den Wunsch nach höherem Lebensstandard und Wohlstand verwirklichte. Der hohe Lebensstandard war es, der von vielen im Westen dem Einfluss der USA und dem von ihnen „verteidigten“ Kapitalismus zugeschrieben wurde und der den Westen vom Osten unterschied. Zudem waren die USA für viele, gerade in Deutschland, der Beschützer der bürgerlichen Freiheiten, die man nach der bleiernen Zeit der NS-Diktatur genoss. Nicht zuletzt hatten die USA den Wiederaufbau Europas finanziert (natürlich auch aus geo- und wirtschaftspolitischen Überlegungen der Stärkung ihrer Hegemonie heraus). Dies alles waren in den unmittelbaren Nachkriegsjahren (den Jahren des „Wirtschaftswunders“ in der BRD) Faktoren der "soft power“ (wobei es umstritten ist, inwiefern ökonomische Macht eher „harte“ oder „weiche“ Macht ist).
Erste Kratzer bekam dieses Image der idealistisch allzeit für Freiheit und Bürgerrechte einstehenden „guten“ Weltmacht in der westlichen Öffentlichkeit, als Mitte der 1960er Jahre der Krieg in Südostasien eskalierte und zu einem einzigen großen Gemetzel an der vietnamesischen Zivilbevölkerung wurde; durch den Einsatz von Giftgas verloren die USA auch in den Augen vieler im Westen ihre bis dahin weitgehend intakte „weltpolitische Unschuld“. Eine ganze kulturelle Bewegung entstand aus dem transnationalen, ja transkontinentalen Protest der Jahre nach 1968, eine Bürgerrechtsbewegung, die u.a. Pazifismus, Feminimus und Ökologie als Themen in die Öffentlichkeit trug (Themen, die bis heute vielerorts noch oft vom reaktionären Mainstream diskreditiert bzw. marginalisiert werden). Vietnam war der erste massive Verlust von US-amerikanischer “soft power“, also von immaterieller, kultureller Macht. In den darauf folgenden Jahrzehnten wurden verbrecherische Diktaturen sowie islamistische oder andere Terroristengruppen unterstützt, so lange sie die Gegenspieler jeglicher kommunistischer oder sozialistischer Regierungen, egal ob demokratisch oder nicht, waren; als zwei Beispiele von vielen seien hier nur die von der CIA betriebene Absetzung und Ermordung von Salvador Allende in Chile 1973, der durch den Massenmörder Pinochet ersetzt wurde, sowie die Unterstützung der Mudschaheddin bzw. der späteren Taliban gegen die Sowjetunion in den 1980er Jahren genannt, ohne die eben jene radikal islamistischen Taliban ihre afghanische Schreckensherrschaft in den 1990er Jahren nie hätten errichten können.
Durch den Einsatz für die Wiedervereinigung Deutschlands gewannen die USA zu Beginn der 1990er Jahre (im Gegensatz zu dem eher skeptischen Frankreich (und Großbritannien)) in Bonn/Berlin und bei der deutschen Bevölkerung an Kredit zurück; viele Ostdeutsche sahen in den USA den „besseren“ großen Bruder, als es die Sowjetunion gewesen war, unter deren Herrschaft die DDR gegenüber dem Westen wirtschaftlich zurück gefallen war. Man erhoffte sich (in vieler Hinsicht vergebens) einen wohlwollenderen Hegemon. Dass dieser ultimative “Big Brother“ sie (und die Franzosen, Spanier u.a.) nun ausspioniert wie es selbst die Gestapo und Stasi wohl nie in diesem Ausmaß getan hatten, konnten sich die wenigsten Deutschen vorstellen (wobei die Behörden der Nazis und der DDR dies bei gleichen technischen Möglichkeiten sicherlich auch getan hätten).
Genau 38 Jahre nach der Ermordung Allendes 1973 (s.o.), am 11. September 2001, begann nach den Jahren des relativ harmonischen europäisch-amerikanischen Einklangs (unter Bill Clinton) und eines „Wirtschaftswunders 2.0“ (die "dotcom“-Ära, eine Blase, die dann um 2000 herum platzte) unter George W. Bush eine an die Jahre von Vietnam erinnernde neuerliche Ära der Entfremdung der USA vom Rest der Welt, auch von den engsten Bündnispartnern, den (west-) europäischen Staaten. Unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung wurde nach den in ihren Ursachen bzw. Entstehung (absichtliche Fahrlässigkeit, Inszenierung?) wie auch immer zu bewertenden Anschlägen vom 11. September 2001 ein “war on terror“ ausgerufen, der die endgültige Opferung von Bürgerrechten zugunsten von (angeblich) mehr „Sicherheit“ bedeutete. Innenpolitisch wurde der "Patriot Act“ verabschiedet, der de facto das Ende von auf Grundrechten basierender Rechtsstaatlichkeit bedeutete. Außenpolitisch wurde in der Folge nicht nur ein umstrittener Angriffskrieg geführt (Irak), sondern, noch imageschädigender, viele zu „Terrorverdächtigen“ erklärte Gefangene aus Afghanistan, dem Irak oder sogar „westlichen“ Ländern (aus Deutschland z.B. Khaled Al-Masri und Murat Kurnaz) rechtswidrig entführt und in Abu Ghreib (Irak), Guantanamo oder Bagram gefoltert.