Der Doppelstandard, der in Sachen Steuern besteht, erscheint angesichts von
gesamtgesellschaftlicher Austerität und der globalen Krise der Staatsfinanzen paradox und ungerecht. Die Staaten müssen deutlicher
machen, dass es hier ein massives Gerechtigkeitsproblem gibt, und
auch stärker danach handeln. Ansonsten wird der Legitimätsglaube,
den die Beherrschten den Herrschenden in einer legitimen
Herrschaftsordnung entgegenbringen (Max Weber), gerade in diesen
Zeiten großer „Politikverdrossenheit“ und sozialer Atomisierung
und Spaltung, noch weiter untergraben.
Offshore-Finanzplätze nach Angaben der OECD und des Tax Justice Network (grün markiert) |
Das „wattierte Sonderstrafrecht“ (Heribert Prantl), das das Steuerrecht dadurch de facto ist, dass bei Selbstanzeige auch bei hohen Beträgen Straffreiheit gewährt wird, muss diesen Status verlieren. Auch ist der Begriff „Steuersünder“ irreführend: Er suggeriert, dass Steuerflucht und Geldwäsche zu vergebende Fehltritte und legitime Kavaliersdelikte seien. Dabei handelt es sich jedoch um illegitimen, massiven Betrug an der Gesellschaft und bei den Steuerflüchtlingen um die „wahren Asozialen“. So titelte nicht etwa die „Junge Welt“, sondern das nicht gerade als marxistisch-leninistisches Zentralorgan bekannte konservative Magazin „Cicero“ (das vom Schweizer (!) Ringier-Verlag herausgegeben wird) jüngst und beschrieb unter dieser Überschrift die Perversionen der momentanen globalen Finanzsituation, durch die sogenannten "Offshore-Leaks" verdeutlicht:
"Die wahren Asozialen"
„Während Millionen von Menschen in einem reichen Land wie der Bundesrepublik nicht von ihrem Lohn leben können, schaffen die Superreichen ihr Vermögen in die Steuerparadiese dieser Welt, um dem Finanzamt zu entkommen – und die Sparkanzlerin schaut zu. Kaum sind die Feierlichkeiten zu zehn Jahren Agenda-Politik ["Agenda 2010", Anm. d. A.] über die Bühne gegangen, kaum ist zum 1. April in England der größte sozialpolitische Einschnitt seit dem 2. Weltkrieg in Kraft gesetzt worden, während die südeuropäischen Krisenländer ihre Sozialausgaben eindampfen müssen, liefert Offshore-Leaks den kontrafaktischen Meta-Kommentar zur Schuldenkrise und zur sozialen Frage.
(…) Während sich eine steinreiche Finanzaristokratie (...) um nichts mehr sorgt, als um die Mehrung ihres Vermögens, können Millionen von Menschen in einem reichen Land wie der Bundesrepublik nicht von ihrer realen Arbeit leben. (…) Es ist deshalb alles andere als unredlich, in Zeiten knapper öffentlicher Haushalte und des demographischen Wandels von den privilegierten Generationen über Vermögens- oder höhere Erbschaftssteuern zurückzufordern, was in Zeiten des Überflusses gegeben wurde. Ein kleiner, aber eben nicht selten sehr vermögender Teil dieser bevorteilten Generationen hat indes den Generationenvertrag durch Steuerverweigerung aufgekündigt. Eher noch verabschieden sich die Vermögenseliten (oder wenigstens deren Vermögen) aus den sie schützenden und privilegierenden Gesellschaften, sobald ihre Verantwortung gefragt ist.“ Einerseits entziehen also die erwähnten Superreichen Milliardenbeträge der Gesellschaft, in dem sie sie in Steueroasen anlegen; dies ist teilweise durch entsprechende Geschäftsmodelle ("Briefkastenfirmen", Stiftungen) der Geldwäsche bzw. Steuerflucht legal. Andererseits wird die Einkommens-Mittelschicht zur (Steuer-)Kasse gebeten, teilweise, um die halbseidenen Banken, die jene Geschäftsmodelle anbieten und von ihnen profitieren, zu „retten“, teilweise, um unnötige Prestigeprojekte zu finanzieren, während dringend nötige Investitionen in wichtige soziale (Kitas, Schulen, Hochschulen, sozialer Wohnungsbau) und Verkehrs-Infrastruktur (ÖPNV, Straßenbau) vernachlässigt bzw. zurückgestellt werden.
Plakativ ausgedrückt, das Primat über die Verwendung der Steuergelder liegt bei den „systemrelevanten“ Banken, den Immobilieninvestoren und -spekulanten und den großen (Bau- und anderen) Firmen. Ihnen fließen diese Steuermittel direkt oder indirekt zu, während kleine und mittelständische Unternehmer um ihre Existenz fürchten müssen. Die Allgemeinheit, die z.B. in den Städten mit stetig steigenden Mieten zu kämpfen haben, auf maroden Straßen fahren und überfüllte öffentliche Nah- und Fernverkehrsmittel nutzen, müssen für jene die (Steuer-) Last mittragen, die sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung durch zum Teil zwar legale, aber nicht legitime Steuerflucht oder Geldwäsche entziehen. Daran, dass am anderen Ende der Einkommensschere Millionen Menschen in Deutschland nicht oder nur prekär von der Entlohnung ihrer Arbeit leben können, sei hier nur nochmals “en passant“ erinnert; dies wurde hier im Februar bereit ausführlicher thematisiert (siehe meinen folgenden Artikel: "Aufstocker, Amazon-Skandal, Mindestlohn-Debatte und das Prekariat").
Die moralische Verkommenheit jener, die die Befriedigung ihrer persönlichen Gier über die Pflicht stellen, ihren steuerlichen Beitrag zu der Gesellschaft zu leisten, die ihnen die Rahmenbedingungen (Schule, Universität oder Ausbildung, Rechtssicherheit) geliefert hat, unter denen sie zu finanziellem Wohlstand gelangt sind, ist Ausweis des Verlustes des im Neoliberalismus des späten 20. und des frühen 21. Jahrhunderts nicht mehr ausgebildeten Solidaritätsgedankens. Der Umbau des Bildungssystems weg von humanistischer Menschenbildung hin zur Dominanz der Lehre vom „wissenschaftlichen Kapitalismus“ mit seiner ratio von individueller Nutzenmaximierung und skrupellos-rücksichtslosem Profitstreben an so manchen Hochschulen, v.a. den “business schools“, etabliert diese Denkweise bei den aktuellen und zukünftigen Finanzeliten und „ehrbaren Geschäftsmännern“.
Diese werden im gleichen Atemzug und in der gleichen Logik als „erfolgreiche Unternehmer“ gefeiert, wie der nun gefallene Held Hoeneß, oder als nationale Heroen verehrt, wie die Formel-1-Weltmeister Michael Schumacher oder Sebastian Vettel, die aber mit Deutschland aus steuerlichen Gründen schon lange nichts mehr zu tun haben (außer der Flagge, die bei ihren Siegen hochgezogen wurde und wird). Hauptverantwortlich dafür sind die Boulevardmedien wie die BILD, die diese Personen zu Helden hochstilisieren, quasi zu Halbgöttern aufbauen; geraten diese dann aber ins Visier der Steuerfahndung, d.h. ist ihr öffentlicher Heldenstatus in Gefahr, wird schnell ein anderes Thema hochgezogen, zur Ablenkung der Massen, ohne Rücksicht auf Verluste bzw. auf zwischenmenschliche Etikette.