10.12.2012

Die Pulverisierung des “Kostendeckels” bei Stuttgart 21: Ende mit Schrecken oder Schrecken ohne Ende?

Der betriebswirtschaftliche Nutzen von Stuttgart 21 ist perdu. Dies lässt dem Aufsichtsrat der Deutschen Bahn vor einer Sitzung am kommenden Mittwoch keine Ruhe. Steht das umstrittene Projekt vor seinem Ende?


Volker Kefer, Vorstandsmitglied der Deutschen Bahn AG, bei einer Ingenieurskonferenz zum Bahnprojekt Stuttgart–Ulm (Stuttgart 21 und Neubaustrecke Wendlingen–Ulm) in Berlin.

Pünktlich zur Adventszeit gab es in den letzten Wochen für alle direkt oder indirekt am Bahn- und Immobilienprojekt Stuttgart 21 Beteiligten „neue“ Hiobsbotschaften: Mehrkosten in Höhe von bis 1,5 bis zu 1,8 Milliarden Euro wurden von offizieller Seite, d.h. vom Projektbetreiber Deutsche Bahn, bestätigt. Dies ist eine Kostensteigerung - noch vor dem wirklichen Baubeginn - von 35-40% im Vergleich zum "Kostendeckel" von 4,5 Mrd. Angeblich neu und unerwartet waren diese Hiobsbotschaften jedenfalls für all jene, die an jene Kostenobergrenze von 4,5 Mrd. geglaubt oder diese, in vollem Wissen, dass sie unrealistisch war, zur Durchsetzung und Legitimation des Projekts propagiert hatten. Bahnchef Grube hatte vor gut einem Jahr, im November 2011, eine Woche vor der Volksabstimmung, diesen Kostendeckel als „Sollbruchstelle“ bezeichnet. Dieser Kostendeckel ist nun Makulatur, der Bruch der Sollbruchstelle offiziell bestätigt.

Der volkswirtschaftliche Nutzen des Projekts wurde aufgrund des hohen Anteils, den die Volkswirtschaft in Form von Steuergeldern an der Finanzierung des Projekts tragen soll, schon immer von vielen bezweifelt. Nun wäre auch der betriebswirtschaftliche Nutzen für die DB, den sie bei Kosten bis zu 4,725 Milliarden noch gegeben sah, perdu. Damit treten nun neben die von der Projektgegnerseite vorgebrachten nicht primär ökonomischen Kritikpunkte wie etwa geologische und ökologische Risiken (die man als mehr oder minder schwer einschätzen kann, Stichworte Gipskeuper, Grundwasser), sowie architektonisch und stadtplanerischen Argumente (über die man auch geteilter Meinung sein kann, Teilzerstörung des Kulturdenkmals Bonatzbau, Durchbrechung der durchgängigen innerstädtischen Grünanlage durch den Tiefbahnhof an Stelle des (ehemaligen) Mittleren Schlossgartens), die „harten“ ökonomischen Fakten und Kosten-Nutzen-Rechnungen in die Abwägung um Fortführung oder Abbruch des Projekts. Deren negatives Resultat scheinen nun auch die Manager und Funktionäre der Projektbetreiber zu erkennen, denen es nur um die Bilanzen solcher betriebswirtschaftlicher Rechnungen geht. Ein Mitglied des Aufsichtsrats der Bahn äußerte sich so drastisch, wie sich von Befürworterseite bisher noch niemand geäußert hat: S 21 sei „ein Fass ohne Boden“. Wenn man dieses Zitat richtig interpretiert, steht nun die Fortführung des Projekts so stark in Frage wie bisher noch nie zuvor.

Der Stuhl von Volker Kefer wackelt nun gewaltig. Der Technikvorstand der Deutschen Bahn, der, immer (jedenfalls nach außen hin) gut gelaunt, wie ein Honigkuchenpferd grinsend, das Projekt in den Schlichtungsrunden im Herbst 2011, als Speerspitze der Befürworter, gegen alle Kritik verteidigt hatte und alle von dem Münchner Verkehrsplanungsbüro Vieregg und Rösler prognostizierten Kostensteigerungen, die nun offiziell eingetreten sind, als Spinnerei abgetan hatte, könnte am Mittwoch als Sündenbock pars pro toto für alle für die Fehlplanung und -kalkulation der DB Verantwortlichen bestraft werden, indem er entlassen oder zum Rücktritt gezwungen wird.