30.09.2013

Österreich: Die Zersplitterung der Parteienlandschaft und der Erfolg des "nächstenliebenden" rechten Rattenfängers. Weimarer Verhältnisse und damit "ewige" große Koalition in Wien?

Bei den Nationalratswahlen haben die beiden (vom Ergebnis nicht mehr allzu) „großen“ Parteien jeweils leicht verloren (SPÖ 27%, ÖVP 24%); trotzdem werden sie aller Voraussicht nach ihre Koalition fortsetzen (die - unterbrochen von einem schwarz-blauen Intermezzo 1999 bis 2006 - seit 1986, also seit 27 Jahren, regiert). Zusammen kamen die Regierungsparteien aber nur noch auf gerade mal 50%. Die rechtspopulistische FPÖ ist nach ihrem Bruch Mitte des letzten Jahrzehnts endgültig wieder zur dritten - fast (wieder) zur zweiten -  Kraft geworden und holte mehr als 20%, bleibt aber wohl bei der Regierungsbildung außen vor.

Ergebnisse der Nationalratswahl 2013 in Österreich (auf Gemeindeebene): rot= Mehrheit in der Gemeinde/dem Wahlkreis für die SPÖ, schwarz=Mehrheit für die ÖVP, blau= Mehrheit für die FPÖ, grün= Mehrheit für die Grünen


Die Grünen erzielten mit 12,3% ihr bestes Ergebnis der Geschichte, gewannen aber trotz der Skandale, in die alle anderen etablierten Parteien verwickelt waren, nur leicht hinzu. Die Rechtspopulisten gewannen, weil sie sich als neue Kraft, die mit der Korruption „aufräumt“, inszenieren konnten ("TeamStronach", 5,7%), oder auch, obwohl sie wie keine andere in Finanz-Skandale (z.B. den um Karl-Heinz Grasser) verwickelt waren, aufgrund geschickter demagogischer Rattenfängerei und der massenhaften Verbreitung einfacher (Protest-)Parolen, massiv hinzu (FPÖ, 20,6%, plus 3%); sie gewannen vermutlich viele Stimmen von ehemaligen ÖVP-Wählern, (nicht nur, aber v.a. auch) auf dem Land. Dort (v.a. in der Steiermark) wurden die Freiheitlichen mit 25% oder mehr vielerorts sogar stärkste Kraft; aber auch im (nur noch sprichwörtlich?) "roten" Wien holten sie etwa 20%. 
 Nur einige Prozent fehlten, und die FPÖ, die ihr historisch zweitbestes Ergebnis (nach 1999, unter Jörg Haider, damals 27%) holte, wäre zur zweitstärksten Fraktion im Nationalrat geworden (wie schon 1999, als sie gleich viele Mandate (52) wie die VP errang; dieses Mal nur  zehn weniger).


Das Negative an diesem Ergebnis ist nicht nur, dass die Rattenfängerei (mal wieder) gefruchtet hat. Es ändert sich auch ansonsten nicht viel in der politischen Landschaft Österreichs. Das Land steuert aber parteien- und fraktionstechnisch auf "Weimarer Verhältnisse" zu, d.h. viele (nun sechs) Fraktionen im Parlament und eine an den Rändern polarisierte Parteienlandschaft. Mit dem Unterschied, das nur ein Rand stark ist, nämlich der rechte (mit insgesamt mehr als 25% für rechtspopulistische Parteien (FPÖ und Stronach)). Das heißt konkret: Erstens, eine „große Koalition“ (nicht mehr ganz so groß wie 2008, heuer kommen SPÖ und ÖVP nur noch auf gerade mal 50% (s.o.)) bleibt die einzige einigermaßen stabile Regierungskoalition (mit allerdings bei aktuellem Stand nur noch sieben Sitzen Mehrheit). Zweitens, es gibt weiterhin eine klare rechte Mehrheit in der Alpenrepublik. Das (einzig) Positive ist: Der rechte Rand bleibt von der Regierung ausgeschlossen. Die Koalition der Mitte unter Kanzler Faymann (SPÖ) und Vizekanzler und Außenminister Spindelegger (ÖVP) wird (wahrscheinlich) fortgesetzt.

Die Opposition wird nach wie vor, aber nun stärker denn je, von einer starken rechtspopulistischen Partei, der FPÖ, angeführt werden, die gegenüber ihrem Ergebnis von 2008 zulegen konnte. Die in einige Korruptionsaffären verwickelten und zum Teil bei den Landtagswahlen (z.B. Salzburg) bereits abgestraften großen Parteien ÖVP und SPÖ bleiben dennoch gemeinsam an der Macht, aber die ebenfalls bis ins Mark korrupte FPÖ konnte diese Korruptions-Skandale, die sie in Kärnten die Macht gekostet hatten, jedoch erfolgreich überspielen und mithilfe plumper Protestrhetorik punkten. Diese wurde befördert von der niveauarmen Mainstream-Presse („Kronen-Zeitung“), den berüchtigten Gratiszeitungen („heute“ und „Österreich“), durch massenhafte Werbung in allen Medien und Plakatierung in Dimensionen, die die der anderen Parteien an vielen Orten deutlich übertraf. Die erfolgreiche Inszenierung als Protestpartei („Wahlzettel als Denkzettel für die Regierung“) funktionierte, mit der zentralen Behauptung, im Gegensatz zu allen anderen, v.a. aber den etablierten Parteien, sich in „Nächstenliebe“ (eine unglaubliche Pervertierung dieses christlich-humanistischen Wortes) gegenüber allen "Inländern" („wir sind Inländerfreunde, keine Ausländerfeinde“) deren sich angeblich konstant verschlechternder Situation anzunehmen (in einem Land, das in Europa wirtschaftlich so gut dasteht wie kein anderes, z.B. niedrigste Arbeitslosigkeit). Mit dem Einschlagen auf schwache Fremde, nämlich angebliche „Asylbetrüger“, und mit dem Ausspielen des "österreichischen" Prekariats gegen das "ausländische" (die angebliche Benachteiligung von Inländern gegenüber Ausländern z.B. bei Sozialwohnungsvergabe), und dem Wettern gegen "die da oben" punktete Heinz-Christian Strache, der Demagoge an der Spitze der FPÖ.



27.09.2013

The return to the four- (or even three-) party system? An outlook on Germany's political landscape after the federal election

In Germany's current post-electoral forging of the coalition set to govern Europe's biggest country for the next four years two options are probable at the moment: a Grand Coalition of Chancellor Merkel's CDU with the Social Democratic SPD party, or a coalition of the CDU with the Green party.


The CDU/CSU (Conservatives; black/blue) have gained 311, the SPD (Social Democrats; light red) 192, the Left Party (dark red) 64 and the Greens (green) 63 seats in the 18th Bundestag (Federal Diet) of Germany 


The SPD, the oldest party in the current party system, existing for 150 years and having been the senior government party in Germany for about twenty years in the 1970s to early 1980s and late 1990s to mid 2000s, has almost been reduced to a second-rate political force in Germany in recent years. It has overall lost about 10% (at least a few million) of their voters since being voted back into power in 1998 after sixteen years of constant CDU reign. These losses were mainly due to the party's swing towards the centre under Chancellor Gerhard Schröder (compare to British “New Labour” of PM Tony Blair from 1997). This paradigm change, coming at a time of economic crisis in Germany at the beginning of the last decade (2001/02), led to the most significant reforms in economic and social policies in post-war Germany; they, dubbed “Agenda 2010”, were of a neoliberal character that couldn't be accommodated completely with those truly and ideologically committed to the century-old tradition of Social Democracy. Thus, a breakaway faction of the SPD in the former West Germany (WASG, “Electoral Alternative for Social Justice”) split off and aligned itself with the Socialist Party in the former East Germany (PDS, “Party of Democratic Socialism”) to form a strong new party, prosaically named “The Left” party (“Die Linke”), today the only truly economically left party of the major parties of the country. 


The Greens, for their part, are the youngest party in the current system. Their roots lie in the civil rights, ecological, pacifist and social justice movement of the late 1960's, that led to “alternative” political movements now established as “Green” or other parties in many countries. As a party, they were founded in the late 1970s in the then staunchly bourgeois and conservative state of Baden-Württemberg; they already gained seats in state parliaments in 1980 and in the Bundestag in 1982, just a couple of years later. Not considered a serious party able to participate in government for a significant time after that, they were gone from the Bundestag in the first election after the accession of East to West Germany (until today dubbed “re-unification”) in 1990, but themselves in 1998 at the latest, twenty years after their foundation, when they formed a coalition with the SPD on federal level that ruled for seven years. During this time, similar to the SPD, they themselves lost some supporters due to their initiative for German participation in military action in the Kosovo 1999 and in Afghanistan 2001 under foreign minister Joschka Fischer. They lost many left-wing voters in those years and only recovered in the late 2000s, when they increasingly became attractive for more bourgeois, but ecologically-minded conservative voters from the CDU's and FDP's milieus. Ecological matters became “mainstream” in the late 2000s, even among the CDU – e.g. the broad support for the decision to cancel nuclear energy in Germany, a debate the Greens had already started in the 1980s; Angela Merkel has taken on the “energy revolution” from nuclear to renewable energy (“Energiewende”) as a major project of hers. This dynamic and the ecological debate, e.g. on climate change being strong in Germany, brought broad support for the Greens, leading them (back) into several state governments (some of which they were voted out of in the early 1990s), even being the senior, stronger partner in a coalition with the SPD in their “home state” of Baden-Württemberg since 2011, with the first Green MP (State Prime Minister) ever. They almost seemed to be a third “Volkspartei” (major party with support among many strata of society) in the early years of the 2010s.

What is the state of the (centre-)left parties in Germany? The SPD hasn't really recovered from its worst result in a federal election ever in 2009, and the Greens, with a few exceptions on the state level, couldn't continue their winning streak of the mid 2000s and early 2010s recently, but, on the contrary, have dropped from the higher double digits (Baden-Württemberg 25% in 2011) to just below 10% (now 8% in the federal elections). They have lost many supporters either to the right (CDU) (they had gained those before, specifically in bourgeois Baden-Württemberg in 2011) or the left (to the Left Party or the newly-emerged „Pirate Party“) (for the specific reasons see “Merkel's pyrrhic victory”, 24-09-13). However, the two parties (as a coalition dubbed “Rot-Grün”) still hold a significant number of seats in the second chamber of parliament (the Bundesrat), that can block major legislation; the SPD is even part of 13 out of 16 state governments. The “Linke” has been constantly between 5 and 10% nationwide, with significantly higher results and government participation in several states in former East Germany (with the SPD). In the Western states and on the federal level, they have suffered from generally being excluded from government coalitions, with the SPD and the Greens opting to coalesce with the CDU (or FDP) instead. This has also been due to their ideologically more heavy-handed and radical wing in the West, whereas the Left in the the formerly Communist East Germany is more pragmatic (and also still has an old supporter base from the Communist era there); it is thus able to participate in most state governments there. “Die Linke” is the second-strongest party in many parts of the country there, taking in much of what would be SPD or left-wing Green clientele in the West; the (centre, bourgeois) Green and ((neo-)liberal) FDP clientele of Eastern Germany is mostly absorbed by the Conservative party CDU (as it was in these elections, where the CDU had record results there).


What is the outlook and what could this mean for the future of the German party system? Much depends on which of the two parties, SPD or Greens, will be in government as a junior partner of chancellor Merkel's CDU.




Merkel's Pyrrhic victory: the end of the „conservative-bourgeois“ neoliberal model? Will the loss of the FDP tear Germany's conservative union of pragmatism and populism asunder?

Germany has gone to the polls and has given the Conservative alliance between Chancellor Merkel's CDU and Bavarian Prime Minister Seehofer's regional sister party CSU a whopping majority; but for the German right as a whole it is a Pyrrhic victory.


German Chancellor Angela Merkel (CDU) celebrating her party's result at the federal elections on September 22, 2013, along with Herrmann Gröhe (CDU General Secretary) and Gerda Hasselfeldt (chief of the parliamentary group of the CDU's Bavarian sister party, CSU)


The electorate has in essence voted against the incumbent „black-yellow“ (i.e.Conservative-bourgeois) coalition and for a more left-leaning coalition, i.e. a „black-red“ coalition of Merkel's Conservative party with the Social Democrats (SPD) or a „black-green“ one, i.e. CDU/CSU with the Green Party (Grüne). Angela Merkel has triumphed, but is lacking the absolute majority of seats in the first chamber of parliament (the Bundestag); therefore, she has to move (even more) towards a middle position in the next term, and thus risk the break-up of the alliance with the more conservative CSU and the populist right wing in Germany. Failing that, a shadow government of „Red-Red-Green“, i.e. SPD, the Left Party („Die Linke“) and the Green Party, is waiting in the wings, in the middle or long term. Not only has she lost her „yellow,“ i.e. (neo-) liberal, coalitionpartner, but her majority in the Bundestag will be kept in check by a leftist majority in the Bundesrat (the second chamber of parliament, where the federal state governments are represented).


„People have voted for Merkel, not for her government“, German journalist Jakob Augstein wrote aptly (in Spiegel Online, 23-09-13). The chancellor, who has benefited from a strategy of accommodating many formerly Green (i.e. ecological) and Social democratic topics such as climate change (she was dubbed „Klimakanzlerin“), the switch from nuclear to renewable energies („Energiewende“), and a minimum wage („Mindestlohn“)) to her government's agenda, is paying dearly for her victory, by losing the favoured coalition partner, the FDP, which, more than the other parties, with the notable exception of the Left („die Linke“), stood for the neoliberal policies of the 2000s, and has now been punished for that. A (former) advocate of civil rights, the FDP couldn't make hay from the NSA scandal, given and the perception of the populace that followed from it, of Germany being a „surveillance state“, and „all that“ (as it has given up that civil-rights focus and ideologically tied itself to economic liberalism). By committing itself to „save“ the states hit by the euro crisis, albeit grudgingly and regrettably late, Merkel's CDU also triggered the advent of a new right-wing populist party, the „Alternative for Germany („Alternative für Deutschland“), which stands not so much for alternatives as as more for “Germany“, i.e. chauvinistic nationalism. Now, the chancellor, first, has to deal with a stronger-than-ever populist CSU (winning an absolute majority in Bavaria the week before) in her own camp; second, she has to compete but also cooperate with a party from across the aisle in the coalition now pending. Either with the Social Democrats, who disagree with her e.g. on European and social policies, or with the Greens, who disagree with her e.g. on energy and educational policies; third, she has to curtail the growth of an extreme-right, eurosceptical or nationalist-chauvinistic fringe, that could draw current voters away from her in the future.


It is both symptomatic and illuminating that in these times of growing political and socio-economic divisions—think of the widening income gap and the rise of the „precariate“ (e.g. people working in precarious, underpaid employment)—that the most radical, but socio-economically most credible of the three (and now four) small parties in Germany came out of the election strongest. The Left („Die Linke“) could connect to its clientele most powerfully and credibly by emphasizing these facts: on the watch of all other parties in government in the last two decades, the richest 1% of the population has become richer, despite (or due to?) the financial crisis, Lehman Brothers and „all that“, that the income gap has widened by 13% due to the stagnation of or even the decrease of the average wages, and that the states have become pawns in the „great games“ of the financial markets; thus, “die Linke” came in third. The SPD could only gain minimally; the party is still suffering from the neoliberal reforms that it pushed through under Chancellor Schröder in the early 2000s, a fact that is still neither forgotten nor forgiven by the party's left wing. It could not point out successfully enough, that Merkel profited from the effects of these reforms after 2005 and also in the 2009 elections, together with the neo-lib FDP. The loss of the leftists is not outweighed by the gain of some more moderate voters from the social-liberal-bourgeois camp.

The same is true even more for the Greens, who even significantly lost votes. The party that most clearly embodies the zeitgeist of those conservatives who are not so much bourgeois as genuine conservationists capable of social solidarity -, and whose ideas Merkel coopted for the right, could not profit from its opposition role. And this despite the government's erratic energy policies, aiming at replacing nuclear with renewable energy, but leading to the populace paying more, the big corporations paying less, and the energy companies enriching themselves immensely, despite several food scandals, e.g. tainted or wrongly-labelled meat, and „all that“. The Greens lost their clear political profile, as so often, due to jnternal struggles over strategies and directions; they scared the more bourgeois clientele of their potential voters with plans for tax hikes and several bans seen as inhibiting freedom. At the same time, they disappointed their more leftist clientele by almost wholly rubber-stamping the social cuts and austerity in the eurozone crisis states and by turning away from pacifism. Yet considering their tax hike plans, they are not crazy left-wing utopians, as the government propaganda made many believe, but would rather reinstate the level of taxes common in the era of chancellor Helmut Kohl (CDU). There was also, surprise, surprise, a property or wealth tax back then, today derided as „socialist“. Does this mean Kohl was a socialist? No, but the zeitgeist of today seems more libertarian or egoistic than back then, less willing to show solidarity, despite the international debt crisis and „all that“. The bourgeois with vested financial and property interests and the social Darwinist above-average earners have decided this election in favour of the CDU, but have turned away from the FDP and thus have reduced the right-wing camp in the Bundestag to a one-party camp.




24.09.2013

Merkels Pyrrhus-Sieg: Das Ende des schwarz-gelben neoliberalen Auslaufmodells? Die Opferung der FDP als Zerreißprobe für die Union zwischen Pragmatismus und Populismus

Deutschland hat gewählt und der Unions-(Zweck-)Gemeinschaft aus Merkel-CDU und Seehofer-CSU eine satte Mehrheit beschert; aber dies ist für das rechte Lager ein Pyrrhussieg. Denn die Wählerschaft hat im Grunde genommen die schwarz-gelbe Koalition ab- und eine weiter links angesiedelte Große, d.h. schwarz-rote, oder eine schwarz-grüne Koalition gewählt. Angela Merkel triumphiert, aber muss, da ihr die absolute Unions-Mehrheit fehlt, in der nächsten Legislaturperiode (noch weiter) in die Mitte rücken und den Bruch mit der CSU und dem populistischen rechten Lager riskieren. Ansonsten steht, mittel- oder langfristig, eine rot-rot-grüne Mehrheit als Alternative bereit. Denn nicht nur fehlt ihr der gelbe Koalitionspartner, sondern dem nun nur noch schwarz-rot-grün-linken Bundestag, ohne Gelb, steht die linke Bundesrats-Mehrheit als Korrektiv gegenüber.

CSU-Parteichef und Ministerpräsident von Bayern, Horst Seehofer, und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), auf einem CSU-Parteitag

„Die Leute haben Merkel gewählt, nicht ihre Regierung“, schrieb dazu Jakob Augstein (bei Spiegel Online, 23.09.13). Die Kanzlerin, die auch von der geschickten Vereinnahmung vieler eigentlich spezifisch grüner und sozialdemokratischer Themen ("Klimakanzlerin", "Energiewende", Mindestlohn u.v.m.) profitiert hat, bezahlt ihren Triumph mit dem Verlust des Wunsch-Koalitionspartners, der FDP, die (am meisten von allen Parteien, außer der Linken) für den Neoliberalismus der 2000er Jahre stand; die (ehemalige?) Bürgerrechtspartei konnte auch von NSA-Skandal, Überwachungsstaat „und alledem“ in letzter Minute nicht profitieren. Die Merkel-CDU verursachte mit ihrem, wenn auch zähneknirschenden und fatalerweise zögerlichen, Bekenntnis zur „Rettung“ der Euro-Krisenstaaten auch das Erstarken einer rechtspopulistischen Partei, der „Alternative für Deutschland“, die weniger für eine Alternative als vielmehr für mehr „Deutschland“ steht. Nun muss sich die Kanzlerin, erstens, im eigenen Lager mit einer erstarkten populistischen CSU arrangieren. Zudem muss sie in einer (wahrscheinlichen) Koalition mit dem anderen Lager mit einer z.B. europa- und sozialpolitisch dissonanten SPD oder mit z.B. energie- und bildungspolitisch dissonanten Grünen auseinandersetzen und dennoch zusammenarbeiten. Drittens muss sie die Entstehung eines ihre Wählerschaft abziehenden euro-skeptischen und/oder deutschnational-chauvinistischen rechten Randes vermeiden. 

Bezeichnend, aber einleuchtend in diesen Zeiten der wieder zunehmenden politischen und sozio-ökonomischen Spaltungen (Stichworte Einkommensschere, Prekarität), dass die radikalste, aber sozio-ökonomisch glaubwürdigste, der drei (nun mit AfD vier) kleineren Parteien die stärkste geworden ist. Sie konnte ihre stimmige Botschaft, dass unter der Regierung aller anderen Parteien in den letzten zwanzig Jahren die reichsten 1% trotz (oder wegen der ?) Finanzkrise, Lehman Brothers „und alledem“ reicher geworden sind, sich die Einkommensschere aufgrund von Lohnstagnation oder gar -rückgang seit 1991 um 13% geöffnet hat und die Staaten zu Spielbällen der Finanzmärkte geworden sind, zumindest soweit vermitteln, dass sie zur drittstärksten Kraft wurde. Die SPD konnte nur minimal profitieren; ihr hängen immer noch die neoliberalen Reformen der Schröder-Jahre nach, die ihr vom linken Flügel nicht verziehen werden. Sie konnte nicht vermitteln, dass es aber zum Teil die Effekte jener Reformen waren, von denen die Merkel-Regierung ab 2005 und auch 2009 mit der FDP zusammen profitierte; der Verlust der Parteilinken wirkt schwerer als der Gewinn vielleicht einiger gemäßigterer Wähler aus dem sozialliberal-bürgerlichen Lager.

Dasselbe gilt in größerem Maße für die Grünen, die sogar leicht verloren. Die Partei, die den Zeitgeist der neuen, nicht nur bürgerlichen, sondern eher ökologisch-solidarischen Konservativen eigentlich wie keine andere verkörpert und deren Ideen Merkel plagiierend zumindest teilweise, wenn auch nach rechts verzerrt, umsetzt, konnten von ihrer Oppositionsrolle nicht profitieren. Und das trotz der von Schwarz-Gelb skandalös falsch umgesetzten Energiewende, die die Bürger mehr schröpft, die Unternehmen entlastet und die großen Energiekonzerne bereichert, trotz Lebensmittelskandalen „und alledem“. Die Grünen verloren wie so oft durch interne Grabenkämpfe an klarer Linie; das eher bürgerliche Wähler-Klientel verschreckten sie durch die Steuererhöhungs- und als Gängelung empfundenen Verbotspläne, das linke Klientel durch ihre recht widerstandslose Zustimmung zu Sozialabbau und Austerität in den Euro-Krisenstaaten und durch das Abrücken vom Pazifismus. Dabei wären die grünen Steuererhöhungen keine Spinnereien, wie von Schwarz-Gelb im Wahlkampf dargestellt, sondern würden nur in etwa den Sätzen der Ära Helmut Kohl (CDU) entsprechen. Und damals gab es eine Vermögenssteuer, die heute als Sozialismus bezeichnet wird. War Kohl also ein Sozialist? Aber der Zeitgeist scheint in dieser Hinsicht trotz Staatsschuldenkrise „und alledem“ immer noch oder noch mehr ein positiv ausgedrückt libertärer, negativ gesagt egoistischer zu sein, als ein solidarischer. Die bürgerlichen Besitzstandwahrer und sozialdarwinistischen Besserverdiener haben diese Wahl für die CDU entschieden, aber der FDP den Rücken gekehrt und somit das rechte Lager in Bundestag zu einem Ein-Parteien-Lager gemacht.