14.10.2012

Ein Signal gegen die Spaltung Europas. Zur Vergabe des Friedensnobelpreises an die Europäische Union. Eine Verteidigung

Die Vergabe des Friedensnobelpreises 2012 an die Europäische Union mitten in der Euro- und Finanzkrise ist nicht Bestätigung der Austeritätspolitik, sondern Warnung an deren Befürworter.



Die Flagge der EU (vom Europarat bereits 1955 als dessen Symbol eingeführt und 1986 von der Europäischen Gemeinschaft (seit 1993 EU) übernommen). Die zwölf Sterne stehen nicht für die Anzahl der Mitgliedsstaaten, sondern für "
Vollkommenheit, Vollständigkeit und Einheit"


Auf den ersten Blick etwas überraschend, für manche sogar "empörend", war die Vergabe des diesjährigen Friedensnobelpreises an die Europäische Union als Institution. Steht sie nicht derzeit so stark in der Kritik wie noch nie in ihrer etwa sechzigjährigen Geschichte? Wird sie nicht von zahlreichen Bürgern und auch mehr und mehr Politikern, von links wie rechts, als undemokratisch und technokratisch verschrien? Sehen viele sie nicht als eine Art neue, schleichende Diktatur, die den Nationalstaaten mehr und mehr Souveränität entzieht und die Bürger entmündigt? Scharfe Kritik äußerte z.B. Nigel Farage, der Führer der britischen europafeindlichen UKIP-Partei an der Entscheidung: “Man muss nur seine Augen öffnen um zu sehen, wie Gewalt und Aufstand in der EU zunehmen – ausgelöst durch den Euro.”

Damit hat er leider recht, genau so wie sich die EU-Politiker die anderen obigen kritischen Fragen zu Recht gefallen lassen müssen oder stellen müssen. Farages konkrete Kritik geht im Kern aber an der Sache vorbei, wenn er sie nur am Euro aufhängt. Es ist ja nicht der Euro, der von dem Osloer Kommittee ausgezeichnet wurde, d.h. diese in den 1990er Jahren fehlerhaft und voreilig konstruierte Währungsunion, die auf falschen Prämissen basierend und ohne zuvor die notwendige politische und fiskalische Union durchzusetzen, durchgezogen wurde. Es ist die Europäische Union als Institution, als supranationale Organisation, die - allein durch ihre auf Kooperation und auf Interdependenz basierende Grundstruktur geopolitisch so stabilisierend auf ihre Mitgliedsstaaten in West-, und später auch Mittel- und Osteuropa wirkte wie kein ähnliches Konstrukt mehr seit dem Wiener Kongress 1815. Die dort zementierte Mächtekonstellation, so restaurativ und anti-demokratisch sie auch war (die bürgerlichen Revolutionen von 1848/49 wurden von den Monarchien niedergeschlagen), verhinderte, zumindest für fast 100 Jahre, bis zum Ersten Weltkrieg, einen kontinentalen Krieg (der preußisch-österreichische Krieg 1866 war ja schon seinem Namen nach nur ein "Deutscher Krieg" und, ebenso wie der deutsch-französische von 1870/71, nur eine Sache von Monaten).
Ebenso verhält es sich bisher mit der Europäischen Union. Durch den Gemeinsamen Markt (Europäischen Binnenmarkt) begründeten die ersten beiden Generationen der Europapolitiker, v.a. der BRD und Frankreichs in den 1950er und 1960er Jahren eine wirtschaftliche Union, in der alle um ein Vielfaches mehr vom Wegfall der Zölle und anderer ökonomischer Barrieren profitierten, als wenn diese fortbestanden hätten geschweige denn, wenn sie über militärische Mittel, sprich Krieg versucht hätten, diese Vorteile zu erlangen (wie es zuvor, im imperialen Zeitalter ("Age of Empire" (Eric Hobsbawm)) gang und gäbe gewesen war). Dies übersehen die Kritiker, viele davon geflissentlich, aus einem reinen anti-europäischen Pawlow`schen Reflex heraus. Farage und seine Kumpanen in den anti-europäischen Parteien, die in fast ganz Europa (die große Ausnahme ist bisher Deutschland) wie Pilze aus dem Boden schießen, stützen ihre Haltung auf diese falsche Gleichsetzung. Der Euro ist nicht gleichbedeutend mit der Europäischen Union und er ist wenn überhaupt nur ein kleiner Teil der europäischen Idee.