29.03.2013

Das „Zypern-Experiment“ und die „Bankenabgabe“ - Anfang vom Ende eines kriminellen Geschäftsmodells oder Vorbereitung der Enteignung der Mittelschicht?

Der modus operandi bei der Bankenrettung in Zypern - eine Teilbeteiligung der Kontoinhaber mit über 100.000 € durch eine Zwangsabgabe, die etwa ein Drittel der Gesamtsumme von 15 Milliarden € bringen soll - ist auf den ersten Blick gerechter als die Modelle anderswo, wo alle europäischen Steuerzahler für die Verbindlichkeiten der Banken in vollem Umfang hafteten. Die Steueroase wurde trockengelegt. Bei näherer Betrachtung hier trifft es aber auch dort nicht die, die am meisten von diesem Haupt-Geschäftsmodell Zyperns profitierten. Der übliche Doppelstandard der Plutokratie - viel Geld setzt die ansonsten gültigen Regeln außer Kraft - greift auch hier erneut.


Gebäude der "Bank of Cyprus" in Aglandija, einem Vorort der Hauptstadt der Republik Zypern, Nicosia


Denn auch für Zypern galt anscheinend der Or'wellsche Grundsatz
“All animals are equal, but some animals are more equal than others“ (“Animal Farm“,1945). Die vorgenommene Teil-Enteignung ging zu Lasten der Mittelschicht und zu Gunsten weniger. Dies könnte den ohnehin bröckelnden sozialen Frieden noch stärker gefährden und das System des (post-) demokratischen Kapitalismus an seine Grenzen bringen. Während es für die Kontoinhaber mit kleinen und mittleren Summen eine strikte Sperre für größere Abhebungen bzw. Überwei-sungen gab (und trotz inzwischen nach fast zwei Wochen Zwangs-“bank holiday“ wieder geöffneter Banken immer noch gibt), war es den „Investoren“ mit hohen Summen „auf wundersame Weise“ möglich, diese zu umgehen und ihr Geld aus den Banken Zyperns abzuziehen.

Durch die Grenze von 100.000 Euro traf es zwar wenigstens nicht die „Kleinsparer“ (wobei 100.000 € für zypriotische Verhältnisse (Durchschnittseinkommen ca 1.750 €/Monat, ca. 30% unter dem in der BRD) auch schon ein weit überdurchschnittlicher Betrag ist); dieses Mal sind aber die Mitglieder der Mittel-schicht, die „Besserverdienenden“, Opfer der Umverteilung nach oben, jene, die zu wenig Kapital haben, um außerhalb der normalen Spielregeln, die für 99% der Menschen gelten, zu agieren, aber zu viel, um unter die 100.000-Grenze zu fallen. Diese werden nun durch die Abgabe von 30-50% kräftig teil-zwangsenteignet. Es sind meist einheimische Unternehmer, die auf der Insel bleiben müssen oder wollen. Sicherlich, auch sie profitierten von den niedrigen Steuersätzen, die dazu führten, dass der Finanzsektor Zyperns auf das Achtfache des Bruttoinlandsprodukts anschwoll und daher zu der Schlüsselindustrie des Inselstaates wurde; aber die Hauptprofiteure, ausländische Geldwäscher oder Steuerflüchtlinge im großen Stil, konnten ihr Kapital durch Insiderinformationen oder andere kriminelle Umgehung der Bankensperre abziehen. Für die Wirtschaft des Inselstaates wird dies - trotz der 10 Milliarden aus dem Rettungsschirm - kurz- oder mittelfristig in eine tiefe Rezession führen. Die Steueroase Zypern wird wohl trockengelegt werden, aber diejenigen, die sie genutzt haben, werden ungeschoren davon kommen.

Das anfänglich angedachte Modell, das ausnahmslos alle Bankkunden mit einer Zwangsabgabe belegen wollte, war von der Regierung in Nikosia vorgeschlagen und von den anderen Regierungen und der Troika erstaunlich einmütig abgenickt worden. Nur gab es da ein kleines Problem: die Bevölkerung, griechisch
demos, also der (angebliche) Souverän in der demokratia, der „Volksherr-schaft“, bekam davon Wind und begannen massiv zu protestieren. Daraufhin bekamen die Parlamentarier kalte Füße und lehnten diesen Entwurf ab. Aber durch die stille Übereinkunft der nationalen Regierung und der Troika ist ein Präzedenzfall geschaffen, der zeigt, dass jene - die Politik im Dienste des 1% und des Finanzsektors - nicht davor zurückschrecken, die Bürger der mittleren Einkommen oder Vermögen zu enteignen, um mit deren Einkommen bzw. Vermögen die Spekulations-Wettschulden der Casino-Banken (Europa, USA) oder die Staatsschulden, die durch korrupte Beamtenapparate, mafiöse Verstrickungen und fehlende Steuereinnahmen durch Steuerflucht (Italien, Griechenland) oder imperialistische Kriege für die Wirtschaft (USA) entstanden sind (bei den Banken bzw den Hedgefonds und Großkäufern in Staatsanleihen, also letztlich auch wieder bei wenigen “fat cats“) zu begleichen. Das ist das wahre Gesicht des von der Finanzoligarchie beherrschten plutokratischen Staatsmonopolkapitalismus. Der Freitag nennt es das "Geschäftsmodell Schneeballsystem":

"
Zypern zeigt die Krise des Geldsystems, dem wir uns ausliefern. Wenn die Zypern-Erfahrung Panik an den Bankschaltern der Euroraumes heckt, bricht dieses System zusammen. Will heißen, wenn morgen alle Sparer in Deutschland mit Einlagen um die 100.000 Euro diesen Betrag abheben wollen, ist die Einlagengarantie der Bundesregierung für eben diese 100.000 Euro nichts mehr wert. Es würde dann schnell klar, Sparguthaben sind nur virtuelle Buchgelder, die nicht ohne weiteres abrufbar – sprich: realisierbar – sind, weil Banken eben keine Geldbewahr-Anstalten, sondern Akteure eines Finanzmarktes sind und mit dem Geld ihrer Kunden ein mehr oder weniger gelungenes Geschäftsleben bestreiten. Wir haben es genau genommen mit einer Art Schneeballsystem zu tun, bei dem um Gotteswillen nie alle Anspruchsberechtigten ihre Ansprüche auf einmal geltend machen dürfen. 
Kein Staat der Welt kann garantieren oder im Zweifelsfall gar ersetzen, was sie dabei unter Umständen verlieren oder verspielen. Diese Einsicht ist so alt wie das Geld. Nur hat eben die Zypern-Krise das Bewusstsein dafür geschärft, wie leicht dieses System erschüttert werden kann, dass sich der Vergleich mit einen Kartenhaus aufdrängt, wäre er nicht allzu abgegriffen." (Lutz Herden, 29.03.13)


Bei den Arbeitslosen (in fast ganz Europa massiv steigend, krassestes Beispiel Spanien) gibt es nichts mehr zu holen bzw. zu kürzen. Die lohnabhängigen Einkommensempfänger wurden in fast ganz Europa, in Deutschland größtenteils durch die Arbeitsmarktreformen („Flexibilisierung“, d.h. mehr prekäre und Teilzeit-Arbeitsverhältnisse) vor zehn Jahren, anderswo durch die von der Troika diktierte Sparpolitik, bereits durch Dumpinglöhne und Sozialabbau seit Jahren im gleichen, prekär-niedrigen bis leicht unterdurchschnittlichen Einkommensbereich gehalten oder büßen durch Inflation und Lohnkürzungen seit Jahrzehnten an Einkommen ein. Dort ist also auch nichts mehr zu holen. Daher trifft es nun in Zypern und wahrscheinlich mittel- oder langfristig auch anderswo die (gehobene) Mittelschicht. Die Umverteilung von ganz unten nach oben ist längst etabliert; nun könnte die Umverteilung von der Mitte nach ganz oben folgen.



Solange sich für die die Volkswirtschaft schädigenden bis kriminellen Geschäftmodelle (Steuerbetrug in der Schweiz (für Superreiche z.B. im Kanton Zug), Liechtenstein oder Luxemburg) und die oft prekäre Verhältnisse bzw. Armut verschärfenden Geschäfte (wie Spekulation mit Lebensversicherungen, Rentenfonds oder gar Lebensmitteln) an der Wall Street, in der City, in Frankfurt oder in Zürich keiner dieser Bankster verantworten muss und ernsthaften Konsequenzen ausgesetzt sieht, sondern im Gegenteil die Politiker wie Marionetten gegeneinander ausspielen und so die Völker propagandistisch in den Rückfall in primitive Nationalismen verführen kann („Deutschland gegen „Griechenland“ oder „gegen Zypern“), scheint die Enteignung der Mittel-schicht der realistischer werdende nächste Schritt. Die Gier der Spieler wird weiter steigen, die Investmentbanken werden mehr Geld für ihre (Ab-)Zockereien brauchen. Die Enteigung des „Mittelstandes“ wäre der nächste konsequente Schritt des seit Jahren geltenden Grundsatzes „Verluste sozialisieren, Gewinne privatisieren“. Und die Trockenlegung der Steueroase Zypern war nur ein sehr kleiner Tropfen auf den großen heißen Stein der globalen Schwarzgeldwäsche. S
o gewinnt die Bevölkerung kein Vertrauen in den Finanzsektor und die Politik zurück, im Gegenteil: durch die Überlegungen zur Zwangsenteignung werden nun auch die „Gut- und „Besserverdienen-den“ vergrault; sie sollten merken, dass auch sie betroffen sein könnten von der Omnipotenz der Finanzmärkte.

Die Hoffnung bleibt, dass sich durch sie die Menge der Unzufriedenen erhöht, dass jene nun kritischer werden, sich auch den „Indignados“ und anderen Protestbewegungen gegen die Banken-Rettung und den Marktfundamentalismus anschließen. Damit rückte die bisherige Illusion von
“Occupy“, die 99% nicht nur theoretisch zu vertreten, sondern auch praktisch zu erreichen, ein weiteres Stück näher an die Realität. Es wäre ein wichtiger Schritt, diese Unzufriedenen zu mobilisieren, bis die die „kritische Masse“ erreicht wird, die das global hegemoniale Wirtschaftssystem des neoliberalen Kapitalismus und Finanzfaschismus an seine Grenzen stoßen ließe. Die Betreiber und Profiteure dieses Systems dazu zu bringen, dieses zu hinterfragen und zu reformieren, kann nur dadurch erreicht werden, dass der soziale Frieden dauerhaft gestört wird; am sozialen Frieden zündelt die globale Finanzoligarchie jedoch, wenn sie aus Gier und Spielsucht an das Geld der Gut- und Besserverdienenden gehen. Nicht nur die Zukunft der europäischen Einigung und Währung steht dadurch auf dem Spiel, sondern auch die des globalen Finanzsystems.

Literatur:
Orwell, George, Animal Farm (dt. Farm der Tiere), 1945


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen