An diesem heutigen 27. April 2020 feierte die Republik Österreich den 75. Jahrestag ihrer (Wieder-) Begründung, als sogenannte „Zweite Republik“, noch vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Aber dieses Jubiläum wird in diesen Tagen genauso von der alles beherrschenden Corona-Krisenberichterstattung überschattet wie das Gedenken an den atomaren Super-GAU in Tschernobyl vor 34 Jahren, am 26. April 1986.
Tagesaktuell sollte normalerweise aufhorchen lassen, dass die Rüstungsausgaben sich laut dem heutigen Bericht des Stockholmer International Peace Research Institute (SIPRI) weltweit so stark steigerten wie zuletzt vor zehn Jahren und erneut auf einem Rekordniveau liegen – bei jetzt 1,917 Billionen US-$ (2018 waren es um ca. 120 Milliarden weniger, 1,8 Billionen US-$), an der Spitze die USA mit 732 Milliarden (38% aller globalen Miltärausgaben), die ihre Ausgaben genauso steigerten (um 5,3%) wie China mit 261 Milliarden (Steigerung um 5,1%) und Indien mit 71,1 Milliarden (Steigerung um 6,8%). Die stärkste Steigerung aber gab es in Deutschland, das um 10% mehr ausgab und nun bei 49,5 Milliarden $ liegt. Im Moment sind das aber alles nur Randnotizen zu "Corona".
Jubiläen (so wie auch das bald anstehende Gedenken am 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs, am 8. bzw. 9. Mai) genauso wie geopolitisch bzw. militärisch heraufziehende oder eigentlich immer noch brisante Konflikte (z.B. die Situation im Jemen, im Golf (z.B. zwischen Saudi-Arabien und dem Iran und deren jeweiligen Bündnispartnern, den Atommächten des „neuen Kalten Krieges“, im Hintergrund), z.B. auch das Machtspiel zwischen den USA und China in bzw. um Hongkong und Taiwan, z.B. die Machtkämpfe zwischen US-unterstützten Neoliberalen oder Faschisten und deren linken Feinden (Venezuela, Bolivien) in Südamerika) kommen im Moment in der corona-dominierten Berichterstattung, geschweige denn in der Gedankenwelt des „Durchschnitts-Dieters“, nur marginal vor.
Welche Schlüsse sind aus dieser Ausnahmesituation zu ziehen, und welche Hoffnungen kann man damit verbinden? Einerseits sieht man, dass es erstaunlicherweise möglich war, große Teile der Wirtschaft „herunterzufahren“, um die Ausbreitung einer Pandemie zu verhindern, wo es doch angeblich zuvor aus wirtschaftlichen Gründen unmöglich gewesen war, dies aus anderen längerfristigen Überlegungen heraus zu tun, primär natürlich z.B. die Reduktion von Verkehrsströmen aus Gründen des Klimaschutzes bzw. mit dem vielbeschworenen, aber nicht wirklich konsequent verfolgten Ziel der „Nachhaltigkeit“ - wie sich auf den zahlreichen, so gut wie ergebnislosen „Klimakonferenzen“ gezeigt hatte. Eine Pandemie „bewirkte“ hier mehr als jede Klimakonferenz seit oder vielleicht sogar inklusive jener von Paris.
Diese Maßnahmen mussten jedoch eigentlich im Grunde als Reaktion auf oder als „Reparatur“ jener berühmt-berüchtigten „Marktkonformität“ gesetzt werden, die zuvor jahrzehntelang die Finanzpolitik der Staaten auch im Bereich der Gesundheitssysteme dominiert hatte und eine rigide Austeritäts- bzw. Kürzungspolitik durchgesetzt hatte, mit Einsparungen u.a. bei den jetzt so vielzitierten und -benötigten Intensivbetten. Dabei waren es v.a. die jetzt als „gut durch die Krise kommenden“ Länder Mitteleuropas, v.a. Deutschland, die Niederlande und Österreich, die noch vor wenigen Jahren ebensolche Kürzungen als „Sanierungsmaßnahmen“ in den „Schuldenstaaten“ Italien, Spanien, Griechenland, Irland und Portugal durchgesetzt haben und sich jetzt brüsten, dass es bei ihnen „nicht so schlimm kommt wie in Italien“ (ohne natürlich die Austerität des letzten Jahrzehnts zu erwähnen). Es sind genau jene Staaten um Deutschland herum, die einserseits die Krise „super managen“, aber andererseits Solidarität nur bedingt und zähneknirschend zusagen, wenn sie Hilfsgeldern für die Corona-Krisenstaaten im Süden zustimmen – gemeinsame Euro-Anleihen („Eurobonds“ oder „Corona-Bonds“) lehnen sie immer noch kategorisch ab, obwohl dies im Sinne einer langfristigeren gemeinsamen europäischen Währungspolitik die eigentlich sinnvollere Maßnahme wäre, wenn man erneute regelmäßige Euro-Krisen im Jahresrhythmus, vielleicht sogar mittelfristig das Auseinanderbrechen der Eurozone, oder gar den Austritt weiterer Staaten aus der Europäischen Union vermeiden will. Die Zustimmung zur EU ist jedenfalls in den südeuropäischen Staaten (inklusive des auch stark von Corona betroffenen Frankreichs) durch diese Weigerung nicht gerade gestiegen, um es milde auszudrücken.
Die schon seit dem Beginn der Fehlkonstruktion der Eurozone bestehende Diskrepanz zwischen einer Währungsunion einerseits, aber keiner gemeinsamen Finanzpolitik, geschweige denn gemeinsamer europäischer Wirtschaftspolitik, andererseits wird damit weiter aufrechterhalten, nur um die konservativen Wählern in Nord- und Mitteleuropa weiterhin mit volkswirtschaftlich absolut haarsträubender und hanebüchener Propaganda auf Bild-Zeitungs-Niveau zu beweihräuchern, dass man ja selber so tugendhaft wirtschafte wie eine „schwäbische Hausfrau“ und so viel produktiver sei als die „faulen“ Südeuropäer, und man deshalb diese nicht immer „durchfüttern“ könne, auch in einer Krise nicht. Nationale Wirtschaftsstandortpolitik ist kein Weg zur europäischen Einheit, sondern eine Stagnation auf Kindergartenniveau. Und dass die Sparpolitik, die in Deutschland und Österreich dumm-stolz unter dem Namen „schwarze Null“ propagiert wurde, jetzt innerhalb von wenigen Tagen begraben werden musste, zeigt ja, wie ach so nachhaltig eine solche investitionslose Finanzpolitik ist.
Die Pandemie hat zu einer Rückkehr der nationalen Alleingänge geführt. Dadurch dass nun innerstaatlich, wie in früheren Zeiten oder ansonsten nur bei Sportereignissen, nationale Geschlossenheit verordnet oder Patriotismen beschworen werden, haben es Regierungen derzeit, „in der Hitze des Augenblicks“ einfach, öffentlich-rechtliche (und andere) Medien tendieren (mehr oder weniger zwangsläufig) zur Verlautbarungs- statt kritischer Berichterstattung. Oppositionsparteien tun sich schwer, auch etwas vom Rampenlicht der fast täglichen Krisenkommunikation abzubekommen. Was vor der Krise war (z.B. Forderungen der gleichen Regierungsparteien nach Kürzungen im Gesundheitswesen noch wenige Tage vorher, zu Jahresbeginn, dann oft in vielen Gegenden noch sehr lange Reaktionszeiten bis Schließungen erfolgten (Ischgl, aber auch Fußballspiele, Karneval. Starkbierfeste, Pferderennen ließ man noch laufen)) oder danach sein wird (zurück zum „marktkonformen“ business as usual, als wenn nichts gewesen wäre), spielt keine Rolle. Dies sollte aber nach der Krise nicht vergessen werden. Dies sollte nicht dazu führen, dass einfach zur Tagesordnung übergegangen wird wie es bei der Finanzkrise von 2008/09 getan wurde. Damals hat man sich damit begnügt, den Finanzsektor ein bisschen „pro forma“, aber nicht in ausreichendem Ausmaß zu regulieren, ein paar kleine Fische wurden bestraft, aber die systemrelevanten Banken wurden auf Kosten der Steuerzahler (und damit der Sozialsysteme der Nationalstaaten) „gerettet“ (da sie angeblich too big to fail waren, zB die Hypo Alpe Adria, um ein Beispiel aus dem deutschen Sprachraum zu nennen); aber die Exzesse auf den Finanzmärkten und die Banken- und Finanzkriminalität ging nach kurzer Pause fast unvermindert weiter (siehe z.B. Panama Papers).
Was bedeutet „nicht zur Tagesordnung übergehen“ nach dieser Krise? Eigentlich müsste die Hauptlehre aus dieser Krise das endgültige Ende des neoliberalen Kapitalismus als politischem Leitmotiv sein, nicht nur, aber vor allem in jenen Politikfeldern, die öffentliche Güter oder Menschenrechte bereitstellen, was neben kostenloser staatlicher Gesundheitsversorgung z.B. auch das Recht auf Wohnraum sowie auf eine bedarfsgerechte bedingungslose Grundrente im Alter umfassen sollte. Die Krise ist noch nicht vorbei, aber in der Tendenz zeigt sich, dass Länder, die auf ein einigermaßen funktionales, öffentlich noch gut finanziertes Gesundheitssystem verfügen, diese Krise bei weitem besser gemeistert haben als Länder, die diese jahrzehntelang privatem Profitstreben unterworfen haben – auch wenn selbst diese Länder, wie z.B. Österreich oder Deutschland, ohne die Maßnahmen der Kontaktsperren wohl an ihre Grenzen gekommen wären.
Das System kapitalistisch geprägterer Länder wie das der USA oder auch des Vereinigten Königreichs wurden als absolut unzureichend entlarvt. Die Briten, die seit 1948 ein eigentlich fast sozialistisches, nämlich steuerfinanziertes staatlich universelles Gesundheitssystem haben, das sogar für einige Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg zu den besten der Welt zählte, haben dieses aber seit der Regierung der Erzkapitalistin Thatcher gnadenlos zusammengestrichen hat in den letzten vier Jahrzehnten; das klägliche Resultat zeigt sich jetzt. Thatchers Leitspruch "there is no such thing as society, there are only individual(s)“ hat sich als genauso falsch erwiesen wie Ronald Reagans "government is not the solution to our problems, government is the problem“. Eigentlich sollten – entgegen der momentanen Präferenzen, die aber vielleicht nur insgesamt an der Schwäche des Personals liegen – sozialdemokratische Parteien, oder zumindest ihre Ideen, wieder eine Renaissance erleben. Länder wie die USA und das Vereinigte Königreich haben diese Chance vertan, indem sie Jeremy Corbyn und Bernie Sanders auf das politische Abstellgleis geschoben haben. Ob sie bei der aktuell vorherrschenden ökonomischen Ideologie in Brüssel auch auf die Ebene der europäischen Politik finden, bleibt sehr zweifelhaft (s.o.). Aber auf nationalen oder regionalen Ebenen können diese Ideen eventuell doch zumindest hoffentlich zu einer Beibehaltung, wenn nicht sogar einem Ausbau der vorhandenen Sozialsysteme und einer nachhaltigen Daseinsfürsorge führen. Vor gar nicht allzu langer Zeit waren diese Ideen sogar eher politischer Mainstream als jetzt. Es gab sogar einen Namen dafür: „soziale Marktwirtschaft“. Deren Ende war aber nach dem Ende des Kalten Krieges gekommen, und Schritt für Schritt ging es in Richtung „marktkonforme Demokratie“ (wie es Angela Merkel vor wenigen Jahren nannte).
Es ist zwar nur eine naive Hoffnung des Autors dieser Zeilen, dass es durch diese Krise wieder in die andere Richtung gehen wird, wenn auch vielleicht nur im Bewusstsein der Menschen, und noch nicht direkt bei den Eliten. Ich bin mir auch bewusst, dass im Zuge dieser Krise mit größter Wahrscheinlich wieder die gleichen Marktmechanismen wie immer greifen, die das heißen: „nur die Stärksten überleben“, oder „die Reichen werden noch reicher“ (wie z.B. die großen Internet-Firmen, oder Amazon), und dass wahrscheinlich in den allermeisten Fällen die Staaten wieder hauptsächlich eher die großen Firmen retten werden, während mittlere und kleine Unternehmen und Selbständige eher selbst schauen müssen, wo sie bleiben, oder mit kurzfristigen Tropfen auf den heißen Stein über Wasser gehalten werden ("socialism for the rich, capitalism for the poor“).
Auch dass durch den "lockdown“ ("home schooling“, Kinderbetreuung daheim) die sozialen und Bildungs-Verhältnisse wohl eher zementiert als nivelliert wurden, ist klar. Medien- und allgemeine, von instant gratification oder ähnlichen eingefahrenen Gewohnheiten geprägte Konsummuster werden sich wohl nicht geändert haben oder durch die Krise ändern; als vor einigen Tagen in Österreich nach einigen Wochen wieder die Fast-Food-Ketten als DriveIn öffneten (die Fast-Food-Ketten, die wie wohl weniges andere (z.B. Amazon) genau für die McJobs jetzigen krisenhaften Wirtschaftssystems nach US-Modell stehen), war der Andrang mindestens so ungebrochen wie vorher. Aber um mit dem hoffnungsfrohen Ausblick des niederländischen Historikers Rutger Bregman aus dieser Krise zu enden:
„Ich sehe allerdings Anzeichen, die mich auf das Gegenteil [eines „Virus der Angst und des Misstrauens“] hoffen lassen. Man muss sich nur mal die Listen der unverzichtbaren Berufe angucken, die Regierungen in den vergangenen Wochen veröffentlicht haben. Es sind eben nicht die Manager, Banker, PR-Leute – nein, es sind Krankenpfleger, Lehrerinnen, Müllmänner, also Leute, die nicht immer den Respekt und den Lohn bekommen, den sie verdienen. Allein diese Lektion der Krise könnte zu einem neuen Wertesystem führen. Und zu einer Neubewertung der Rolle des Staates. Jahrzehntelang wurde uns erzählt, dass er sich so weit wie möglich aus der Wirtschaft heraushalten muss. Nun stellen wir fest: Wir brauchen die Regierung. Wer weiß, wenn jetzt so viele Leute merken, wie sehr wir aufeinander angewiesen sind, werden einige nach der Krise vielleicht sogar bereit sein, höhere Steuern zu zahlen. Das zentrale Dogma des neoliberalen Zeitalters war: Der Mensch ist egoistisch. An dieser Annahme wurden alle unsere Institutionen ausgerichtet, Schulen, Firmen, Demokratien. Die Sache ist die: Was man den Leuten unterstellt, bekommt man von ihnen zurück. Das Menschenbild ist die Grundlage jeder Ideologie. Wenn es sich ändert, ändert sich alles.“ Amen!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen