27.01.2014

Der Holocaust-Gedenktag und die Debatte um den Wiener „Akademikerball“: Gratmesser für Demokratie oder für die Salonfähigkeit des Rechtsextremismus in Österreich

Am vergangenen Freitagabend, wenige Tage vor dem heutigen Holocaust-Gedenktag, trafen sich auf dem von der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) veranstalteten „Akademikerball“ in der Wiener Hofburg in deren Selbstwahrnehmung die „Leistungsträger“ und "Anständigen" der Gesellschaft. Wie jedes Jahr gab es gegen den (Ort des) Ball(s) große Proteste. Die Maßnahmen zur Sicherung dieser Versammlung waren jedoch um ein Vielfaches strikter und repressiver als in den Jahren zuvor. Die dieses Jahr besonders intensive Debatte um den Ball und die Proteste dagegen sind wichtig und Gradmesser der Demokratie oder der Salonfähigkeit des Rechtsextremismus in Österreich.

Demonstration gegen den Wiener "Akademikerball" im Vorjahr (Heldenplatz, 01.02.2013)
Denn die Polizei verhängte im Hinblick auf die angemeldeten Demonstrationen ein Platzverbot für die halbe Innenstadt, das eine größere Fläche umfasste als beim Staatsbesuch von George W. Bush 2006 in Wien und ein pauschales Vermummungsverbot in fast der Hälfte aller Wiener Gemeindebezirke. Zudem, noch gravierender, wurde die Pressefreiheit eingeschränkt, Medienvertreter durften nur für eine halbe Stunde und nur in Begleitung eines Exekutivbeamten über den Ball berichten


2 000 Polizisten wurden aus der ganzen Republik, sogar aus dem fernen Bregenz, in die Hauptstadt gekarrt, um den Ballbesuchern einen ruhigen Abend zu garantieren; denn den Kontakt mit von ihnen (in einer Wortschöpfung, am prominentesten durch Jörg Haider und die Kronen-Zeitung verwendet) als „Linkslinke“ bezeichnetem „unanständigen Gesindel“, „dem Mob“, „grünen Gutmenschen“ und der „Journaille“ will man in den Kreisen der korporierten „Akademiker“ tunlichst vermeiden. Aus der Warte der Demonstranten (und der der meisten anderen) handelt es sich nämlich eben bei den Ballteilnehmern keinesfalls um der „Freiheit“ verpflichtete Mitglieder einer demokratischen Gesellschaft, sondern im Gegenteil, dieser gegenüber ablehnend bis feindlich eingestellte Rechtsextreme. In den prunkvollsten Räumlichkeiten der Republik Österreich versammelten sich, wie in den Jahren zuvor, in Wirklichkeit stramm rechts der gesellschaftlichen Mitte stehende Anti-Demokraten.


Der Protest, dieses Jahr von 6.000 bis 8.000 Menschen in zwei Demozügen durch die Wiener Innenstadt geäußert, richtete sich für die meisten Demonstranten eben nicht gegen den Ball selber, sondern dagegen, dass der Ball in den Prunkräumen der Hofburg stattfindet, also in Räumlichkeiten, die der Republik Österreich gehören. Er kritisierte weniger, dass der Ball stattfindet, sondern dass er dort, also „in der Mitte der Gesellschaft“ und im Zentrum des demokratischen Österreich stattfindet, obwohl daran Personen teilnehmen, die sich am Rande dieser „freiheitlich-demokratischen“ Gesellschaft bewegen und diese, trotz ihres euphemistischen Namens „Freiheitliche“, abschaffen wollen und die anti-demokratische, anti-semitische und xenophobe Ansichten vertreten. Er wird und wurde seit Jahren von der Mitte der Wiener Gesellschaft mitgetragen, u.a. auch von Holocaust-Überlebenden und den den jüdischen Verbänden Wiens (es waren auch Davidstern-Symbole und hebräische Schriftzüge im Demozug zu sehen), denen es diesmal im Gegensatz zu den Vorjahren untersagt worden war, eine Protest-Lesung am Heldenplatz abzuhalten. Kurzum: es handelt sich beim „Akademikerball“ nicht um eine „normale, friedliche Tanzveranstaltung“, sondern um ein exklusives politisches Vernetzungs-Treffen Rechter bis Rechtsextremer mit gesellschaftlichen Auswirkungen; die Betreiber der Hofburg distanzieren sich davon, auch wenn sie den Ball mit der Begründung nicht verbieten (dürfen/können/wollen), dass die FPÖ als drittstärkste Partei im österreichischen Parlament vertreten ist und ihr somit die Ausrichtung gestattet werden muss.



Am „Akademikerball“ trifft sich eben nicht eine weltoffene, inklusive, akademische Elite , sondern eine „ehrenwerte“, exklusive „geschlossene Gesellschaft“ national(istisch) gesinnter Männer (Frauen sind eher als "schmückendes Beiwerk" dabei), die mit „akademischer“
(Welt-) Offenheit für andere als ihre konservativen, chauvinistisch-patriarchalen Strömungen nichts am Burschen-Kapperl hat. Diese Illiberalität ist ihre „Tradition“, auf die sie sich berufen, und der sie ausgerechnet an dem Platz, dem Heldenplatz, frönen, an dem Hitler sich am 15. März 1938 für den Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland 1938 feiern ließ und an dem sie (oder ihre Gesinnungsgenossen) jährlich am 9. Mai beim „Totengedenken“ den deutschen Wehrmachtssoldaten als „heldenhaften Opfern fürs Vaterland“ huldigen. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache führte diese „Tradition“ als Berechtigung für die Veranstaltung des Balls in der Hofburg ins Feld. Die UNESCO sah das vor zwei Jahren anders und
strich die "Wiener Bälle" wegen des damals noch als WKR (Wiener Korporationsring)-Ball benannten Balls von der Liste des schützenwerten „immaterielles Kulturerbes“.

Als Reaktion auf die UNESCO-Streichung 2012 gab die Betreibergesellschaft der Hofburg ihre Rolle als Veranstalterin dieses nun euphemistisch in „Akademikerball“ umbenannten Treffens auf (er heißt übrigens so, obwohl dort auch Nicht-Akademiker, der prominenteste eben ein Studienabbrecher und Zahntechniker aus Wien namens H.-C. Strache, teilnehmen). Spätestens seit 2012 ist der Ball also endgültig eine reine Parteiveranstaltung der rechtspopulistischen bis rechtsextremen FPÖ. Denn er hat mit der Universität nur (noch) entfernt etwas zu tun, ist nun ein FPÖ-Ball, d.h. einer Partei, die neben den „ganz normalen“ Neofaschisten und Rassisten u.a. auch Holocaustleugnern und verurteilten „Wiederbetätigern“ dort eine Plattform bietet (in Österreich wird mit „Wiederbetätigung“ der Straftatbestand des Verstoßes gegen ein Gesetz, das seit 1945/47 NS-Parolen und die Wiedergründung einer NS-Partei verbietet („Verbotsgesetz“), bezeichnet); so ist z.B. vor wenigen Tagen Gottfried Küssel (ein Teilnehmer am WKR 2001) wegen Wiederbetätigung zu einer Haftstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Die Österreichische Hochschülerschaft distanziert sich seit Jahren von dem Ball, genauso wie das Bundesheer bzw. das Verteidigungsministerium, das dort Teilnehmenden verbietet, in Uniform hinzugehen, da „das Who’s who der nationalen und internationalen extremen Rechten“ dort anwesend sei und man „nicht den Anschein erwecken [wolle], dass das österreichische Bundesheer derartiges Gedankengut unterstützt“ (Zitat des damaligen Verteidigungsminister Darabos (SPÖ)). U.a. waren dort Politiker von rechtsextremen Parteien Deutschlands (Patrik Brinkmann, Matthias Faust, beide DVU/NPD), Belgiens (Filip De Winter, Vlaams Blok/Belang) und Frankreichs (Bruno Gollnisch, Marine Le Pen, Front National). Also hochpolitisch und daher auch legitim, dagegen zu protestieren. 




Auch wenn H.-C. Strache für seine unsägliche Opfer-Täter-Umkehr von vor zwei Jahren hart kritisiert wurde, als er sich dazu verstieg, seine Parteigenossen und Sympathisanten angesichts des Anti-WKR-Protests als „die neuen Juden“ zu stilisieren, die heute in ähnlicher Weise wie die Juden im NS-Regime verfolgt würden, so zeigt sich doch auch, dass viele in der österreichischen Medien- und Presselandschaft nach wie vor eher rechts der Mitte stehen; konzentrierten sich doch dieses Mal wieder nur wenige in der Berichterstattung zum Teil auch darauf, wer da eigentlich an dem Ball teilnahm, wogegen sich der Protest eigentlich richtete und stellten den Kontext der Geschehnisse dar (z.B. auch die Einschränkung der Pressefreiheit und die Polizei-Eskalation durch überzogenes Platzverbot und Vermummungsverbot im Vorfeld). Ganz dem Kontext des Balls als FPÖ-Ball verpflichtet war der exzellente Bericht der ARD-“Tagesschau“ von Wien-Korrespondent Thomas Morawski: 





Die meisten stellten jedoch „Krawalle“ und „Randale“ bzw. "Gewalt" in den Vordergrund und stürzten sich darauf, was im Zuge bzw. am Rande der Demonstrationen gegen den Ball geschah: von einem „schwarzen Block“, der aus wenigen hundert Krawallmachern bestand, wurde in der Innenstadt ein hoher Sachschaden verursacht. Dies ist scharf zu verurteilen. Der „Gesinnungsterror“ (um ein Wort aus dem Vokabular der Rechten zu verwenden) geht aber, in indirekterer Weise, durch Volksverhetzung und Nazi-Ideologie, von den Teilnehmern des Balles aus.



Der Hass der FPÖ und ihrer Sympathisanten, der sich im Internet gegen die Demonstranten offenbarte, war faschistoid: Sie hofften, dass „dies die letzte Demo der Drecks-Linken“ gewesen sei, forderten, mit „scharfe[r] Munition [zu] schießen“ und „die Demonstranten in die Öfen“ zu stecken, oder „extra Bezahlung für die Polizei für jeden Schlag gegen einen Linken“. Mehr gibt es wohl zur Geisteshaltung der angeblich „Anständigen“ nicht zu sagen. Im Verhältnis zur Gesamtzahl der 6000 bis 8000 Demonstranten war „der schwarze Block“, dem es im Gegensatz zu der großen Mehrheit nicht um den Protest, sondern nur um die Randale ging, nur eine kleine Minderheit, die große Mehrheit protestierte friedlich gegen die FPÖ. In vielen Medien oder von den Innenministerien z.B. wird aber undifferenziert die Gewalt gegen Sachen, die Krawalle, die von „Linken“ (besser: Autonomen, dem eigentlich eher unpolitischen „schwarzen Block“) ausgehen, also Sachschaden, mit der durch rechte Ideologie beförderte Gewalt gegen Menschen (Breivik, NSU, zahlreiche andere fremdenfeindliche Morde), verglichen. Sehr treffend dazu Hagen Rether über den Unterschied zwischen oft gleich 
gesetzter "linker Gewalt" und "rechter Gewalt":



In den Debatten auf Facebook um die Motive der Demo wurde neben Antifaschismus auch die Komponente der Regierungsunfähigkeit (unabhängig der Gesinnung) der FPÖ als mögliches Motiv für manche, sich der Demo anzuschließen, angeführt:


 
Abseits von rechts oder links, es gibt einen ganz wesentlichen Aspekt bei der FPÖ, über den unsere deutschen Freunde nicht so umfassend informiert sind: deren exorbitante Unfähigkeit. Sie regierten sowohl im Bund als auch im Land Kärnten als jeweils stärkere Partei in Koalitionen mit der ÖVP (ist ähnlich wie CDU). Bei den folgenden Wahlen wurden sie rigoros abgestraft, im Bund verloren sie 2003 65% (!!) der Stimmen und in Kärnten auch 63% bei der Landtagswahl 2013, also jeweils fast gedrittelt. Das zeigt am prägnantesten, dass diese Truppe nichts zustandebringt und viele Menschen in Sorge sind, die könnten wieder an die Macht gelangen. Das war für viele ein Motiv, bei der Demo dabei zu sein.“, kommentierte der User "Michael Ambros". 


Bezüglich des Polizeiaufgebots und -vorgehens
beklagte Petra Stuiber vom „Standard“ eine „gefährliche Schieflage“: „Das völlig übertriebene Vorgehen der Polizei zugunsten einer rechten Netzwerkveranstaltung bringt Grundsätzliches in gefährliche Schieflage. Es entspringt einer Denkweise, die jede Form von Unmutsäußerung mit potenziellem Terrorismus gleichsetzt und rigoros alles bekämpft, was gefährlich werden könnte. Übersehen wird dabei, dass sich eine Demokratie ad absurdum führt, wenn sie im Namen der Freiheit die Freiheit einschränkt oder gar abschafft. (…) Der Exekutive gilt jeder Demonstrant gegen Rechts als Krawallbruder. Journalisten bei ihren Recherchen zu „begleiten“, weil sie alleine gefährdet wären, heißt übersetzt: Wenn's leicht geht, kontrollieren wir die Medienmeute gleich mit. Die Polizei hat sich mit dem Akademikerball ein neues Problem geschaffen, das sie vorher nicht hatte. Gratulation, das war fürwahr eine reife Leistung.“


Der „Akademikerball“ wird also zu Recht seiner euphemistischen, angeblichen Privatheit als "friedliche Tanzveranstaltung" entkleidet und politisiert und verstärkt als ein Problem für die Stadt Wien und die Republik Österreich wahrgenommen. Die neueste Entwicklung, die dem „Akademikerball“ seine Salonfähigkeit am heutigen Montag noch weiter entzieht, ist die Distanzierung des bisher im Ehrenkommittee des Balls vertretenen Vizerektors der Universität Wien, Heinz Faßmann, von diesem Posten, der nun angab, dass er von den Veranstaltern des Balls über dessen wahren, rechtsextremen und anti-intellektuellen Charakter getäuscht worden sei. Das gleiche gilt im Übrigen für den Vorsitzenden des Universitätenkonferenz, Rektor Heinrich Schmidinger (Salzburg). Damit scheint für die FPÖ nach der Absage der Hofburg als offizieller Veranstalter 2012 auch die Unterstützung offizieller Funktionäre der Universitäten als weiterer (Pseudo-) Legitimationsgrund wegzufallen; der Name „Akademikerball“ wird dadurch weiter ad absurdum geführt.

Gesellschaftlich geächtet ist der Ball durch die hier angeführten Distanzierungen der meisten aus der Mitte der Gesellschaft; dass er trotzdem 2015 erneut stattfinden wird, ist dennoch sehr wahrscheinlich. Ob er, sei es primär aus politischen Gründen oder primär aufgrund des Aufwandes, der zum Schutz des Balles aus polizeilicher Sicht notwendig erscheint, an dieser zentralen Örtlichkeit des politischen Österreich, der Hofburg, stattfinden darf, oder an einen anderen, weniger umstrittenen Ort ausweichen muss, dies ist die Auseinandersetzung, die dieses Jahr und bis zur Austragung 2015 geführt werden wird und werden muss. Sie wird vor allem aber als eine Auseinandersetzung um die Salonfähigkeit und Akzeptanz von Rechtsextremismus in Österreich geführt werden müssen. 


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