In den Vereinigten Staaten ist - wohl primär zur Beruhigung der „Märkte“ - ein Kompromiss im US-Haushaltsstreit erreicht worden. Die politische Polarisierung besteht jedoch weiter. Die Debatten um den zweiten Verfassungszusatz und der Haushaltsstreit um Steuern und Ausgaben sind in der politischen Kultur der USA zwei Seiten derselben Medaille.
"Liberty. Preserve This Heritage". Plakat des Office for Emergency Management. War Production Board, 1942/43 |
In seinem Buch Leviathan von 1651 definierte der englische Philosoph Thomas Hobbes als Grundlage eines modernen Staatwesens das Prinzip der Sicherheit als über allen anderen Prinzipien stehende Voraussetzung für die Stabilität und Überlebensfähigkeit des modernen Staates. Daraus leitete sich neben dem mit dem Ende des Feudalismus und der Leibeigenschaft in der Neuzeit etablierten Monopol des Staates, Steuern zu erheben, das Gewaltmonopol des Staates ab. Um den prä-zivilisatorischen „Naturzustand“ (“state of nature“, personifiziert im Monster “Behemoth“) zu überwinden, in dem Hobbes die Menschen als primär egoistisch (quasi „darwinistisch vor Darwin“) ausgerichtet ansieht, sei eine übergeordnete Autorität notwendig, eben der „Leviathan“, der moderne Staat. Hobbes war der erste, der ein ganzes staatstheoretisches Werk allein dieser Problematik widmete. Drei Jahre zuvor, im Jahr 1648, war mit dem Westfälischen Frieden das erste moderne Staatensystem Europas geschaffen worden. England hatte gerade den blutigsten (Bürger-) Krieg seiner Geschichte, der europäische Kontinent den katastrophalen Dreißigjährigen Krieg hinter sich. Vor allem durch Mitteleuropa (die deutschen Territorien) waren, parallel zum Krieg und als Begleiterscheinung des „offiziellen“ Kriegsgeschehens, viele marodierende Horden jahrelang ungehindert plündernd und mordend gezogen. In den in Münster und Osnabrück unterschriebenen Verträgen wurde als Reaktion darauf das Gewaltmonopol des Staates als Grundpfeiler der internationalen Beziehungen verankert.
Titelbild des "Leviathan" von Thomas Hobbes (1651) |
Etwa eineinhalb Jahrhunderte später wurde in zwei Revolutionen vor allem für ein Ideal gegen die herrschenden Monarchien gekämpft: Freiheit. Die Amerikanische Revolution von 1776 und die Französische Revolution von 1789 drehten sich primär um Fragen des steuerlichen Monopols und Machtmonopols des Staates und dessen Legitimation. In Nordamerika wehrten sich die von der englischen Krone seit 170 Jahren dort angesiedelten „Amerikaner“ gegen unrechtmäßige Besteuerung (“no taxation without representation“); sie forderten, im Parlament von Westminster, der Keimzelle und dem Monopolisten des modernen Haushaltsrechts, angemessen vertreten zu sein. Sie stellten aber generell das Haushaltsrecht bzw. Steuererhebungsmonopol des Staates nicht in Frage. In Frankreich war der Auslöser primär die sozio-ökonomische Ungleichheit zwischen Aristokratie und Klerus einerseits und dem „Dritten Stand“ andererseits; daher wurde dort der Freiheitsbegriff mit Forderungen nach mehr Gleichheit und Solidarität verknüpft (“liberté, égalité, fraternité“). Diese Ideale aber erreichten als erstrebenswerte Ziele in den Vereinigten Staaten nie dieselbe Stufe wie die Freiheit.
Der scheinbare Gegensatz zwischen dem Gewaltmonopol des Staates und persönlicher Freiheit wurde Teil der amerikanischen politischen Kultur und das Narrativ vom freien Mann, der an der westlichen „frontier“ im Kampf Mensch gegen Wildnis seines eigenen Glückes Schmied ist, zum nationalen Mythos. Skepsis Herrschaft und Autorität gegenüber wurde wichtiger Bestandteil der Identität der jungen Nation. Freiheit wurde zu einem Grundpfeiler der amerikanischen Verfassung von 1787; Verfassungszusätze (“amendments“) folgten in den nächsten Jahrzehnten. Das “2nd amendment“ ist dabei das bis heute auch außerhalb der USA bekannteste und umstrittenste. Sein kurzer Text lautet: „A well regulated militia being necessary to the security of a free state, the right of the people to keep and bear arms shall not be infringed.“ Darin kommt die zum Gründungsmythos gehörende Herrschaftsskepsis zum Tragen. Die Bürger sollen das Recht darauf haben, (Schuss-)Waffen zu tragen, um sich notfalls gegen einen zu mächtig werdenden, tyrannischen Staat zur Wehr setzen zu können, ihr Eigentum oder ihr Leben zu schützen. Im Kern steht dies im Widerspruch zum staatlichen Gewaltmonopol, kann aber mit dem zu einer demokratischen Gesellschaft gehörenden Prinzip des erlaubten Tyrannenmords als politischem Mord legitimiert werden. Allerdings war damit nicht ein individualistisch-egoistischer, sondern einer im Rahmen einer Miliz, d.h. Bürgerwehr „wohl regulierter“ (s.o.) Gebrauch der Schusswaffen intendiert.
In der heutigen Zeit ist das verfassungsmäßige Recht, Waffen zu tragen, aber bis zur Unkenntlichkeit von seiner ursprünglichen Absicht pervertiert worden. Die wenigsten besitzen die Waffen heute, weil sie sich als Teil einer dem Allgemeinwohl verpflichteten Bürgermiliz fühlen; eine solche wäre eine kommunitaristische Alternative zu einer autoritäten staatlichen Armee. Viele Waffenbesitzer heute sind jedoch Waffennarren, die sich an diesen als psychologisches Instrument persönlicher Macht und möglicher Selbstjustiz ergötzen. Manche frönen einem „Recht des Stärkeren“, ihr Rechtsverständnis bewegt sich hart an der Grenze des demokratischen Rechtsverständnisses, an der Grenze zu Selbstjustiz; dies zeigen die selbsternannten “minutemen“, die unabhängig von staatlicher Polizei bzw. Justiz im Grenzgebiet zu Mexiko Einwanderer, die über die Grenze gelangt sind, einfangen und zurückschicken (wollen). Sie machen sich damit allerdings selbst wissentlich oder unwissentlich zu Handlangern des Staates, dem sie doch im Grunde eigentlich skeptisch gegenüberstehen – paradox.
Manche Bundesstaaten haben auch Gesetze erlassen, die Selbstjustiz „bei gefühlter Bedrohung“ straffrei erlauben (wie der Fall des Afroamerikaners Trayvon Martin zeigt, der am 26. Februar 2012 in Florida von George Zimmerman erschossen wurde) – die “stand your ground laws“, in 26 Bundesstaaten in Kraft, in Florida von Gouverneur Jeb Bush 2005 erlassen. Die Skepsis eines großen Teils dieses Klientels gilt heute nicht nur dem Staat, sondern vermehrt allem, was sie als fremd und nicht konform empfinden – Minderheiten, Einwanderern, Andersdenkenden („Kommunisten“), „Arabern“ („Terroristen“) und „Juden“ („Ostküsten-Establishment“). So hat es die Republikanische Partei geschafft, den Hass ihrer Parteigänger nicht nur auf den Staat bzw. die Regierung an sich, sondern auch auf Leute bestimmter Abstammung oder Weltanschauung zu lenken. Die seit Jahrzehnten regelmäßig das Land erschütternden Amokläufe sind für die Waffenlobbyisten nicht Beweis für die gefährliche Kombination von geistig fehlgeleiteten jungen Männern mit freiem Zugang zu Waffen, sondern Beweis des Versagens des Staates und seines Gewaltmonopols. Da der Staat versage, müssten sich noch mehr Leute (die Lehrer, gar die Schüler) privat bewaffnen, um sich gegen Amokläufer wehren zu können. Da das Gewaltmonopol (gegen das sie ja kämpfen und das sie nicht wollen) versage, müsse also Waffenbesitz noch ausgeweitet werden – ein weiteres Paradoxon. Was ist mit der Freiheit der Opfer bzw. deren Recht auf Leben? Aus einer anderen Warte, nämlich der des sozialen Kapitals betrachtet, passt der zweite Verfassungszusatz nicht mehr in eine moderne demokratische Gesellschaft, denn zu dieser gehört ein gewisses Maß an Kommunitarismus und Solidarität, d.h. eine Atmosphäre der Freiheit, die nicht durch Waffen und Abschreckung des anderen entsteht, sondern durch auf persönlichen Beziehungen und Prestige bzw. ethos der Mitglieder der Gesellschaft beruhendes Vertrauen. Auch diese Tendenzen waren in der jungen amerikanischen Gesellschaft durchaus vorhanden. Die individualistischen Strömungen waren aber langfristig hegemonial in der sozio-politischen Kultur des Landes.
Aufgrund ihrer o.g. Prämissen sind dieselben Staatsskeptiker bzw. Anarcho-Faschisten natürlich auch gegen das zweite staatliche Monopol, das fiskalische. Da sie dem Staat nicht vertrauen, wollen sie natürlich auch keinen Beitrag leisten zur Finanzierung staatlicher Institutionen. Sie vergessen dabei jedoch, dass der Staat bzw. sein Gewaltmonopol auch wirtschaftliche Rechtssicherheit und damit Grundlage privaten ökonomischen Erfolgs bedeutet. Es gibt keinen Markt ohne staatliche Absicherung (siehe auch Die globalen Krisen von 1929 und 2008 (04/2012)). Die Verhandlungen um die Fiskalklippe zeigen, dass die Oberschicht und die obere Mittelschicht, die Wählerschaft der Republikaner, aus der Staatsskepsis, aber auch dem Unwillen heraus, einen Beitrag zum gesellschaftlichen Gemeinwohl und sozialen Frieden beizutragen, nicht bereit sind, mehr Gleichheit und (Steuer-) Gerechtigkeit zuzulassen. Sie ignorieren, dass Präsident Obama durch seine Wiederwahl „politisches Kapital“ gewonnen hat, das ihm Legitimation gibt, seine Agenda einer faireren und von mehr Chancengleichheit und Gerechtigkeit geprägten Gesellschaft voranzutreiben. Stattdessen sind sie in ihrer „Belagerungsmentalität“ gefangen, sehen sich von der Mehrheit übervorteilt, obwohl sie es sind, die immer noch größtenteils den ökonomischen und finanziellen Löwenanteil am US-Wohlstand besitzen und abschöpfen. Somit wird der sozialdarwinistische Kreislauf zwischen unterfinanziertem Staatssektor bzw. Sozialsystem und der daraus abgeleiteten „Eigenverantwortung“ des Einzelnen bzw. dem Recht des (ökonomisch und durch Schusswaffen) Stärkeren von ihnen immer wieder absichtsvoll heraufbeschworen.
Franklin Delano Roosevelt brachte ein neues, eher aus gesellschaftlicher denn aus individueller Sicht hergeleitetes, Verständnis von Freiheit oder Freiheiten in den Diskurs ein. Seine “four freedoms“ waren “freedom of speech and expression“, “freedom of worship“, “freedom of want“ und “freedom of fear“. Vor allem die letzten beiden erweiterten den in der Verfassung verankerten Freiheitsbegriff um das Grundrecht auf angemessenen Lebensstandard und um einen auf Abrüstung statt Aufrüstung basierenden Sicherheitsbegriff. Letzeres war zwar in der „Four Freedoms Speech“ von 1941 auf die internationale Ebene bezogen, kann aber auch auf eine innergesellschaftliche Befriedung durch Abrüstung, d.h. die Einschränkung des Rechtes auf Waffenbesitz statt dessen Ausweitung gemünzt verstanden werden. Er sah die Erfüllung dieser Freiheiten als staatliche Aufgabe, die “freedom of want“ für die US-Bürger versuchte er, über das große staatliche Konjunkturpaket des „New Deal“ zu verwirklichen. Diesem Roosevelt'schen Verständnis von Freiheit fühlt sich die Obama-Regierung und ihre Wählerschaft zumindest tendenziell eher verbunden als der Freiheit, die die Jünger des zweiten Verfassungszusatzes meinen. Anders als Roosevelt, der zumindest teilweise in seiner Amtszeit - während des Zweiten Weltkrieges – eine mehr oder minder geeinte Nation hinter sich hatte, hat Obama das Pech, einer verbohrten, radikal individualistisch-sozialdarwinistischen Mehrheit im Repräsentantenhaus trotzen zu müssen und von und einer rechten Hetzpresse und Fernsehen angefeindet zu werden. Daher wird er es schwer haben, eine gesellschaftliche Aussöhnung zu schaffen und die Polarisierung in der politischen Kultur der Vereinigten Staaten zu überwinden. Das Land wird die nächsten Jahre mit dieser Pattsituation klarkommen müssen.
I would add that the real partisan battle is within the Republican party's conservative, right wing, and confrontational flank.
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AntwortenLöschenI would add that the real partisan battle is within the Republican party's conservative, right wing, and confrontational flank.
AntwortenLöschenTaxation is inherently coercive like the Gewaltmonopol. If you break the law or don't pay the taxman, the police man will come knocking at your door. By the way, the German state took 54 euros from our account today to pay for radio taxes. I think that was a really stupid move by the state. I mean why take it out of a resident's personal bank account. Why not just allocate money to the Funkradio from the treasury. Levy the taxes invisibly without notifying the people. Or do Germans love paying fees for TV and radio? Why tell people that voluntary compliance is required? Why even bring it to the public's attention?
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